Mit dem Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG) beabsichtigt die Bundesregierung den Bau von gesicherter und steuerbarer Stromerzeugungsleistung in Kombination mit einem Kapazitätsmechanismus anzureizen. Der VIK begrüßt diesen Schritt, da sich gezeigt hat, dass marktgetrieben kein ausreichender Zubau von neuen Kraftwerken erfolgt. Da die gesicherte Leistung in Deutschland stetig abnimmt und sich vermehrt Knappheitspreise am Strommarkt zeigen (siehe 6.-7. November 2024), spricht sich der VIK dafür aus, dass das KWSG noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 verabschiedet wird. Der VIK erneuert ebenfalls seine Position, dass keine weitere gesicherte Leistung endgültig stillgelegt werden sollte, bis nicht adäquater Ersatz ans Netz gegangen ist.
Versorgungssicherheit: Der aktuelle ERAA-Bericht von ENTSO-E (European Resource Adequacy Assessment) verdeutlicht, dass die derzeit geplante, zusätzliche, gesicherte Kraftwerksleistung nicht ausreicht, um eine durch den fortschreitenden und beschleunigten Kohleausstieg entstehende Kraftwerkslücke zu schließen. Um die Versorgungssicherheit in Deutschland sicherzustellen, muss die Planungssicherheit für den Neubau von steuerbaren Kraftwerken und den Fortbestand bereits existierender steuerbarer Energieerzeugungseinheiten geschaffen werden. Die Industrie mahnt daher eine zügige Umsetzung des Kraftwerkssicherheitsgesetzes (KWSG) an, damit sich der Bau neuer Kraftwerke nicht noch weiter verzögert.
Die Dekarbonisierung des deutschen Kraftwerksparks wird aus Sicht des VIK nicht allein durch den Bau neuer Kraftwerke erreicht, sondern durch eine Reihe weiterer entscheidender Faktoren, die parallel gefördert und vorangetrieben werden müssen. Diese umfassen:
Umfassende Kapazitätsstrategie notwendig:
In Deutschland gibt es in Summe in etwa 10 GW an industriellen KWK-Anlagen. Sie nehmen daher als zuverlässig verfügbare und steuerbare Leistung eine zentrale Rolle in der Energieversorgung ein und sollten in der Kraftwerksstrategie berücksichtigt werden. Durch die derzeitige Gesetzgebung, insbesondere das Wärmeplanungsgesetz und das KWKG, besteht die Gefahr, dass diese Anlagen stillgelegt werden, wenn Erhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen nicht mehr wirtschaftlich sind.
Deshalb ist es wichtig, industrielle KWK-Anlagen in einen Kapazitätsmechanismus einzubinden, um deren Fortbestehen am Markt zu sichern. Andernfalls müssten nicht nur die wegfallenden Kapazitäten dieser industriellen KWK-Anlagen ersetzt werden, sondern auch zusätzliche Kapazitäten für die Elektrifizierung der Prozesswärme bereitgestellt werden. Eine mögliche Option wäre, einen Kapazitätsmechanismus für bestehende KWK-Anlagen mit einer kürzeren Laufzeit auszugestalten. Da die Investitionen für Bestandsanlagen geringer sind als bei Neuanlagen, könnte dies eine sinnvolle Lösung sein. Durch eine Förderung der Investitionskosten (CAPEX) sollte die Umrüstung auf den Einsatz von Wasserstoff bzw. der Neubau von KWK-Anlagen gefördert werden.
Grundsätzlich sollte die Ausgestaltung des KWSG in Zusammenspiel mit dem geplanten umfassenden Kapazitätsmechanismus technologieoffen ausgestaltet werden. Die Verknüpfung einer neu gebauten industriellen KWK-Anlage mit geförderten CC(U)S -Projekten sollte unbedingt ermöglicht werden. Diese Forderung bezieht sich nur auf die Emissionen des Dampfteils an einer industriellen KWK-Anlage, da es sich hierbei um technisch unvermeidbare Emissionen handelt. Die finanzielle Förderung der genannten Kombinationsmöglichkeiten bietet einen großen Hebel zur CO₂-Minderung in industriellen Prozessen.
§ 2 Nr. 40 i. V. m. § 45 und § 6 KWSG Begriffsbestimmungen „Fixes Umstiegsdatum auf H2-Betrieb“
Der fixe Umstellungszeitpunkt von Gas auf Wasserstoff im achten Betriebsjahr muss über die Anschlussmeldung des Wasserstoffnetzbetreibers hinaus flexibilisiert werden. Stand heute kann niemand garantieren, dass zu dem Umstellungsdatum sowohl die notwendige H2-Infrastruktur als auch ausreichend Wasserstoff als Brennstoff zur Verfügung steht. Damit werden substanzielle Investitionsrisiken auf den Anlagenbetreiber verlagert, die er in keiner Weise beeinflussen kann. Zudem kann kein Kraftwerkshersteller garantieren, dass die Umstellung an einem Stichtag zu 100% erfolgen kann, da dies technologisch bisher nicht möglich ist. Vielmehr ist wahrscheinlich, dass temporär ein Mischbetrieb von Wasserstoff und Erdgas zum Hochfahren des Wasserstoffanteils auf 100% notwendig ist. Daher sollte mindestens für eine Übergangszeit über das achte Betriebsjahr hinaus ein Mischbetrieb erlaubt werden. Vor diesem Hintergrund müssen belastbare Ausnahmetatbestände für die Infrastruktur- und Brennstoffbeschaffungsrisiken geschaffen werden.
§ 7 i. V. m. Anlage 1 Technische Anforderungen an die Anlagen
Diverse technische Anforderungen zur Netz- bzw. Systemstabilität gehen über die heute verfügbaren Standards hinaus und sollten gestrichen werden. Für einen Teil der technologischen Anforderungen fehlen derzeit die verfügbaren Technologien, zu einem anderen Teil würde eine Umsetzung erhebliche zusätzliche Investitionen bedeuten. Dies konterkariert das Ziel einer kosteneffizienten, effektiven und schnellen Dekarbonisierung des deutschen Energiesystems. Diese zusätzliche Belastung der Investition führt zwangsläufig zu höheren Kosten für den Steuerzahler.
§ 8 KWSG Gebotstermine und Ausschreibungsvolumen
Das Ausschreibungsvolumen verteilt sich nun auf deutlich mehr Gebotstermine als in den Konsultationsdokumenten vorgesehen war. Dadurch reduziert sich auch das Volumen, das bei einer 2/3 zu 1/3-Aufteilung gemäß Südbonus für Anlagen im netztechnischen Norden jeweils zur Verfügung steht: Es werden für H2-ready Gaskraftwerke (Säule 1) an insgesamt sieben Terminen je 1000 MW ausgeschrieben, wovon jedoch lediglich 715 MW für Neuanlagen reserviert sind. Wendet man hierauf noch den Südbonus an, stehen dem Nordosten Deutschlands in diesen Ausschreibungsrunden maximal 238 MW zur Verfügung. Damit lassen sich keine großen GuD-Projekte (800-1000 MW) realisieren.
§17 Eigenerklärungen bei Gebotsabgabe
Aus Sicht des VIK sollte keine starre maximale Entfernung in Kilometern zu Wasserstoff-Kernnetzen gesetzlich festgeschrieben werden. Die Entfernung zum Wasserstoff-Kernnetz ist lediglich ein Standortfaktor unter vielen und sollte daher nicht isoliert betrachtet die Standortentscheidung determinieren. Weitere entscheidende Faktoren bei der Standortwahl für wasserstofffähige Gaskraftwerke sind unter andern:
In vielen Fällen ist es zudem am einfachsten, neue Kraftwerke an Standorten zu errichten, an denen bereits Kraftwerke – insbesondere Kohle- oder Kernkraftwerke – in der Vergangenheit betrieben wurden. Diese Standorte verfügen oft über die notwendige Infrastruktur und erfüllen die genannten Kriterien. Ziel sollte es sein, die Kraftwerke möglichst kosteneffizient zu errichten. Deshalb sollten alle diese Faktoren gleichberechtigt mit der Entfernung zum Wasserstoff-Kernnetz in die Standortauswahl einfließen.
§ 20 KWSG Zuschlagsverfahren „Südbonus“
Den Vorschlag zur regionalen Steuerung des Kraftwerkszubaus hält der VIK für ungeeignet, da eine Benachteiligung des netztechnischen Nordens droht, wenn die Steuerung über den vorgesehenen Südbonus erfolgt. Problematisch ist insbesondere, dass nach dem Erreichen von zwei Dritteln der Ausschreibungsmenge weiterhin Gebote aus der gesamten Republik berücksichtigt werden. Das kann dazu führen, dass Südanlagen auch ohne den Südbonus durch ein niedrigeres Gebot als Nordanlagen dennoch den Zuschlag erhalten. Umgekehrt ist dies für die ersten Vergaben (zwei Drittel) aufgrund des Südbonus äußerst unwahrscheinlich. Damit stehen für Nordanlagen in den jeweiligen Auktionsrunden maximal ein Drittel der Gebotsmenge als erschließbares Potenzial zur Verfügung, welches jedoch auch deutlich niedriger ausfallen oder sogar vollständig entfallen kann, da das eine Drittel dem netztechnischen Norden eben nicht gesichert zur Verfügung steht. Mit dem vorgeschlagenen Modell wird zudem nicht die Ursache für die hohen Redispatchkosten adressiert (zu langsamer Netzausbau, hohes Windkraftangebot im Nordosten). Stattdessen wird regulatorisch in die regionale Verteilung der Back-up Kapazitäten eingegriffen. Dabei wird sich das Problem der Netzengpässe in den nächsten Jahren durch den voranschreitenden Netzausbau abmildern. Die durch den Südbonus drohende Bevorteilung des netztechnischen Südens unter Verweis auf die Netzstabilität ist vor diesem Hintergrund auf lange Sicht nicht gerechtfertigt. Ein weiteres Problem stellt die jeweils maximal erschließbare Gebotsmenge dar. Selbst unter der Prämisse, dass tatsächlich ein Drittel der Ausschreibungsvolumina auf Nordanlagen entfällt, würden dem gesamten Norden in Ausschreibungen der Säule 1 nur max. 0,6 GW zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass schon ein einziges großes GuD-Projekt das Volumen der Auktionsrunde übersteigen würde.
Der Südbonus sollte überdacht werden, da dessen Anwendung zu einer erheblichen Benachteiligung von Kraftwerksstandorten im Nordosten Deutschlands führt. Es besteht sogar das Risiko, dass kein einziges Kraftwerk im netztechnischen Norden bei den Ausschreibungen einen Zuschlag erhält, wenn die regionale Steuerung wie vom BMWK vorgesehen erfolgt. Gerade im Osten Deutschlands werden aufgrund des Kohleausstiegs jedoch sukzessive Kraftwerke abgeschaltet, die dann für Netzdienstleistungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Folglich wird die Problematik der Netzstabilität durch den Südbonus nicht gelöst, sondern mittelfristig in den Nordosten verlagert. Es wäre stattdessen ratsam, das (temporäre) Problem der Redispatchkosten verursachungsgerecht zu lösen - z.B. über eine gezielte Ansiedlungssteuerung von Windenergieanlagen oder einen zügigeren Netzausbau. Die Ankündigung, dass der Südbonus nach den ersten Ausschreibungsrunden evaluiert werden soll, greift zu kurz und führt zu einer Verzögerung der an dieser Stelle dringend notwendigen Gesetzesanpassung.
§ 19 KWSG Sicherheiten
Auch wenn das BMWK die Sicherheitsleistung von den zunächst vorgesehenen 200 EUR/kW auf 150 EUR/kW reduziert hat, ist diese nach wie vor sehr hoch und liegt deutlich über den üblichen Sicherheitsleistungen des EEG, wodurch Investitionsentscheidungen absehbar negativ beeinflusst werden.
§ 34 Investitionskostenprämie
Die Begrenzung der OPEX-Förderung auf jährlich 800 Vollbenutzungsstunden, eine reguläre Förderdauer von 4 Jahren (+ ein mögliches Übertragungsjahr für nicht abgerufene Stunden des Vorjahres) und insgesamt max. 3.200 Vollbenutzungsstunden wirkt investitionshemmend. Die Verteilung der insgesamt förderfähigen Betriebsstunden sollten über den vorgesehenen Zeitraum von 4 Jahren +1 hinaus gehen. Eine verpflichtende Mindestbenutzungsstundenzahl (z.B. 200 Stunden pro Jahr) kann zudem insbesondere für Spitzenlastkraftwerke ein Risiko darstellen, da ihr verpflichtender Einsatz in Jahren mit geringer Knappheit die Merit Order verzerren und die Spitzenlastkraftwerke möglicherweise negative Margen realisieren würden, um Pönalen oder den Verlust des Investitionskostenzuschusses zu vermeiden.
Anreize für industrielle Flexibilität: Die Förderung von freiwilliger nachfrageseitiger Flexibilität sollte im KWSG ebenfalls integriert sein.
§ 36 i. V. m. Anlage 5 Überschusserlösabschöpfung
Die Einführung eines Claw-Backs ist angesichts der ohnehin geringen Einsatzstunden der neuen Kraftwerke grundsätzlich zu hinterfragen. Wenn den Kraftwerksbetreibern die Marktrisiken im Brennstoff- und Infrastrukturbereich zugewiesen werden (u.a. hohe technologische Anforderungen und fixes Umstellungsdatum auf H2-Betrieb), ist es unverständlich, ihnen die vorhandenen Marktchancen zu verwehren. Gaskraftwerke sind aus Wirtschaftlichkeitsgründen auf hohe Engpassstrompreise in wenigen Jahresstunden angewiesen. Eine Abschöpfung dieser Erlöse verringert den Investitionsanreiz.
Artikel 3 KWSG: Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes
Artikel 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs beschreibt eine Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWKG). Im Einzelnen stellt die in §2 Nr. 25 KWKG 2024 überarbeitete Definition einer "neuen Anlagen" größere KWK-Anlagen vor Probleme und sollte so nicht stehen bleiben. Unter anderem ist der Begriff einer "Neuanlage" so formuliert, dass förderfähige Neuanlagen nur noch dann bestehen, wenn "Anlagenteile bei Aufnahme des Dauerbetriebs nicht älter als drei Jahre sind". In der Praxis ist dieser Zeitraum für die Errichtung größerer KWK-Anlagen jedoch nicht realistisch. Große KWK-Anlagen befinden sich mehrere Jahre im Bau und würden somit aus der KWK-Förderung faktisch ausgeschlossen werden. Der VIK empfiehlt aufgrund der oben genannten Punkte, diese Regelung für Anlagen ab 10MW auszusetzen, um die Förderung für große KWK-Anlagen nicht faktisch auszuschließen. Eine Formulierung, wobei die Anlagenteile dem Stand der Technik entsprechen müssen, wäre denkbar. Verzögerungen in der Errichtungsphase dürfen jedoch nicht zum Ausschluss aus der Förderung führen.
Die in §6 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe C benannten Änderungen zu einer Verlängerung, die allerdings lediglich auf eine vorliegende oder beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung bis Ende 2026 begrenzt ist, gibt der Industrie nicht die nötige Planungssicherheit. Der VIK fordert eine Verlängerung des KWKG bis 2035, um weiterhin wichtige Erzeugungskapazitäten für die Versorgungssicherheit bereitzuhalten. Ohne die fortlaufende Förderung industrieller KWK-Anlagen würden sowohl die Modernisierung als auch der Neubau von KWK-Anlagen unrentabel.
Die durch §8 KWKG 2023 festgelegte Reduzierung der jährlich förderfähigen Vollbenutzungsstunden führt zu einer Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit bestehender KWK-Anlagen und wurde im vorliegenden Referentenentwurf zum KWSG nicht berücksichtigt. Eine Erhöhung der Flexibilität von KWK-Anlagen im Sinne der Zielsetzung des KWKG ist grundsätzlich denkbar, erfordert aber deutlich höhere Investitionskosten (für KWK-H2-Readyness plus Power-to-Heat) bei gleichem oder ggf. reduziertem Energieoutput, sodass die Fixkosten für die Energieversorgung energieintensiver Industrien deutlich steigen.
Nach Ansicht des VIK sollte die KWK-Förderung die höheren Investitionskosten kompensieren. Der VIK setzt sich daher für eine Umstellung der Fördersystematik ein. Angestrebt wird eine Investitionsförderung (CAPEX-Förderung) bezogen auf die zu installierende Leistung für Neuanlagen bzw. für die Umrüstung bestehender KWK-Anlagen.
Referentin für Energie- und Stromwirtschaft