15.08.2025
Stellungnahme

Konzeptvorschlag zur nationalen Umsetzung eines Industriestrompreises auf Basis des Clean Industrial Deal State Aid Frameworks (CISAF)

Präambel

Die Stromkosten in Deutschland und Europa sind im internationalen Vergleich deutlich zu hoch und tragen zur derzeitigen schlechten Wirtschaftslage und somit zu Produktionsschließungen, Abwanderungen und Stellenabbau bei. Neben den bisher in Aussicht gestellten Entlastungen bei Energiekosten durch einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zu den Stromnetzentgelten, der dauerhaften Reduktion der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe und der Abschaffung der Gasspeicherumlage, begrüßt der VIK grundsätzlich die von der EU-Kommission geschaffene beihilfekonforme Möglichkeit zur Reduktion des Strom-Commodity-Preises der Industrie durch staatliche finanzielle Mittel.

Die CISAF-Regelung zur Stromkostenentlastung ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, welcher einer schnellen Umsetzung bedarf. Dessen ungeachtet sehen wir die Notwendigkeit, den Beihilferahmen so auszugestalten, dass er auch langfristig wirkt und somit Investitionen anreizt. In diesem VIK-Konzeptvorschlag soll aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit zunächst nur die Umsetzung der entsprechenden CISAF-Regelung kommentiert werden.

Damit der Industriestrompreis seine intendierte Entlastungs- und die Wettbewerbsfähigkeit erhöhende Wirkung entfalten kann, bedarf es einer praxisgerechten nationalen Umsetzung, deren Fokus auf minimalem bürokratischem Aufwand bei maximaler Entlastungswirkung für Industrieunternehmen liegen sollte.


Zusammenfassung

Die Umsetzung eines Industriestrompreises auf nationaler Ebene auf Grundlage des CISAFs sollte auf ein möglichst unkompliziertes und leicht handhabbares Verfahren abzielen. Dabei steht im Vordergrund, die Entlastungseffekte für die Industrieunternehmen zu maximieren, den bestehenden Beihilferahmen bestmöglich auszuschöpfen und auf etwaige einschränkende zusätzliche nationale Auflagen oder Kriterien zu verzichten. Um eine hohe Lenkungswirkung zu erzielen und die Entlastung bereits in die Produktionskosten einkalkulieren zu können, wird eine vorgelagerte (ex-ante) Lösung einer nachgelagerten (ex-post) Auszahlung der Beihilfen vorgezogen. Die geforderten Gegenleistungen sollen aus einem breiten Spektrum gewählt werden können.

Begünstigtenkreis für den beihilfefähigen Stromverbrauch

  1. Der VIK befürwortet, dass der gesamte Stromverbrauch eines Unternehmens als beihilfefähig gilt, sofern das Unternehmen anhand seiner Haupttätigkeit einem beihilfefähigen Sektor zugeordnet werden kann.
  1. Sollte zwar nicht die Haupttätigkeit, aber bestimmte Unternehmensbereiche einem beihilfefähigen Sektor zugeordnet sein, ist der Stromverbrauch dieser spezifischen Aktivitäten als Grundlage für eine Beihilfe nach CISAF heranzuziehen.
  1. In beiden vorgenannten Fällen gilt: Wenn ein Teil des beihilfefähigen Stromverbrauchs bereits unter die Strompreiskompensation (SPK) fällt, hat das betroffene Unternehmen die Wahl, diese Regelung beizubehalten und die betreffende Strommenge von einer Förderung nach CISAF auszunehmen. Alternativ besteht die Möglichkeit, auf die SPK sowie die Abgrenzung zu verzichten und eine ausschließliche Förderung nach CISAF zu wählen.

Ob ein Unternehmen im Rahmen der CISAF-Regelungen von einer Reduktion der durchschnittlichen jährlichen Großhandelsstrompreise profitieren kann, hängt maßgeblich davon ab, ob die unternehmerische Tätigkeit einer KUEBLL-Branche zugeordnet ist. Diese Voraussetzung erweist sich jedoch insbesondere für Industrieparks als praxisfern: Die Haupttätigkeit des Infrastrukturbetreibers – häufig die Energieversorgung – fällt in der Regel nicht unter die entlastungsfähigen Sektoren der KUEBLL-Liste, obwohl die angesiedelten Unternehmen vielfach sehr wohl beihilfefähige Tätigkeiten ausüben. Da in diesen Industrieparks ein großer Teil der energieintensiven Industrie in Deutschland ansässig ist und die Betreiber zentrale Versorgungsfunktionen (Strom, Dampf, Wärme, Medien) übernehmen, führt die rein formale Sektorenzuordnung zu einer systematischen Benachteiligung dieser Verbundstrukturen im Vergleich zu vollintegrierten Einzelunternehmen. Um eine gleichwertige und diskriminierungsfreie Behandlung sicherzustellen, empfiehlt der VIK daher eine angepasste Auslegung der Kriterien zum Begünstigtenkreis, die auch den besonderen Bedingungen von Industrieparks gerecht wird. Ansonsten wird die politisch intendierte Entlastung der in solchen Industrieparks ansässigen Unternehmen für ihren indirekten Stromverbrauch von Sekundärenergien und Medien verfehlt!

Begünstigte Strommenge

In diesem Zusammenhang sollte der indirekte Stromverbrauch der begünstigten Unternehmen, der durch den Bezug von Sekundärenergien und Medien (etwa Dampf, Wärme, Kälte oder Druckluft) entsteht, diesen Unternehmen zugerechnet und entsprechend berücksichtigt werden. Eine solche Regelung sollte perspektivisch auf alle anderen relevanten Förderinstrumente erweitert werden – darunter SPK, BesAR, BECV sowie die Stromkostenbeihilfe gemäß CISAF. Die praktische Umsetzung könnte z. B. darüber erfolgen, dass der Lieferant die zur Erzeugung von Sekundärenergie und Medien benötigte Strommenge bestätigt. Alternativ – wenn auch aufwendiger – wäre es denkbar, dass das begünstigte Unternehmen dem Lieferanten den benötigten Strom selbst bereitstellt. Entscheidendes Kriterium ist in jedem Fall eine direkte Belieferungsbeziehung zwischen dem Industrieparkbetreiber und dem beihilfeberechtigten Unternehmen.

Stellt ein Industrieparkbetreiber beihilfefähige Grundstoffe wie Industriegase (z. B. Stickstoff oder Wasserstoff) aus eigenen Anlagen her und beliefert damit Unternehmen am Standort, wäre er gemäß Punkt 2 für den dabei anfallenden Stromverbrauch ohnehin förderberechtigt.

Zeitpunkt und Grundlage des Entlastungsbescheids

Gemäß der Entlastung nach CISAF (Rz. 120) bilden die durchschnittlichen jährlichen Großhandelsstrompreise die Basis für die Entlastungsgrundlage.

Der VIK bevorzugt hier die Heranziehung der durchschnittlichen Baseload-Future-Preise der Vorjahre (z.B. letzten fünf Jahre) für das jeweilige Entlastungsjahr. Diese Vorgehensweise hat zwei grundlegende Vorteile:

  1. Dadurch wird eine vorgezogene (ex-ante) Entlastung ermöglicht, bei der die Auszahlung bereits im laufenden Verbrauchsjahr erfolgt, wo auch die Stromkosten entstehen.
  2. Unabhängig vom Zeitpunkt der Auszahlung ist das Heranziehen der „Future-Preise“ entgegen z.B. der „Day-Ahead-Preise“ für die Industrie von großer Bedeutung, weil so im Vorhinein die Beihilfehöhe exakt kalkuliert werden kann. Ein weiterer Vorteil ist die erhöhte Marktliquidität der Terminmärkte.

Eine ex-post Entlastung ist auf Basis der Future-Preise planbar, wirkt aber dennoch lediglich als nachträgliche Ergebnisverbesserung, durch welche nicht jedes Unternehmen die Entlastungswirkung in die Endproduktpreise einkalkulieren kann. Eine kontinuierliche und direkt Wettbewerbsfähigkeit verbessernde steuernde Wirkung bleibt aus.

Investitionsverpflichtungen als Gegenleistung

Es besteht die Gefahr, dass die unter Randziffer 121 aufgeführten Investitionsverpflichtungen die tatsächliche Entlastungswirkung erheblich reduzieren. Aus diesem Grund sollte auf die Einführung etwaiger zusätzlicher nationaler Anforderungen oder Zugangshürden verzichtet werden und alle genannten anrechnungsfähigen Optionen auch nationale Anwendung finden.[1]

Neben den in Rz. 121 ausdrücklich genannten Investitionsmaßnahmen sollten bspw. auch Erhaltungs- und Ersatzinvestitionen in die Standorte Berücksichtigung finden, da sie in vielen Fällen zu Effizienzsteigerungen bei Prozessen und im Energieeinsatz führen. Ebenso sind Investitionen in Netzanschlüsse und Baukostenzuschüsse zu berücksichtigen, da sie häufig die Voraussetzung für eine weitergehende Elektrifizierung von Produktionsprozessen bilden. Darüber hinaus sollten Investitionen an den Standorten dem Beihilfeberechtigten zugerechnet werden können, wenn sie zwar durch ein verbundenes Unternehmen getätigt werden, jedoch auch dazu dienen, bspw. die Energieeffizienz oder Flexibilisierung des Beihilfeberechtigten zu stärken. PPAs sollten ebenfalls zu den Erfüllungsoptionen hinzugefügt werden, da durch PPAs der Bau von EE-Anlagen (durch Dritte) angereizt wird.

Ein breiter Handlungsspielraum bei den Gegenleistungen stärkt die Fähigkeit der Unternehmen, ökonomisch sinnvolle Transformationsmaßnahmen eigenverantwortlich umzusetzen. Dabei muss vermieden werden, dass Unternehmen zu unwirtschaftlichen oder nicht zielführenden Maßnahmen verpflichtet werden, die keinen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit oder zu Transformationspfaden leisten. Eine Einschränkung auf einzelne Investitionstypen wäre problematisch.


Empfehlung für die Ausgestaltung des Antrags- und Entlastungsprozess

Damit der Industriestrompreis auf Basis des CISAF seine intendierte wettbewerbsfähigkeitsfördernde Wirkung entfalten kann, schlägt der VIK einen Antrags- und Entlastungsprozess vor, der die Unternehmen ex-ante entlastet:

  1. Antragsjahr: Das begünstigte Unternehmen stellt im Antragsjahr bei der zuständigen Stelle bis zu einem definierten Stichtag einen Antrag auf Erhalt des Industriestrompreises. Der Antrag beinhaltet v.a. die folgenden Informationen:
    • Nachweis der Beihilfefähigkeit (Branchenzugehörigkeit des Unternehmens oder des Produkts/der Aktivität).
    • Verbrauchsprognose auf Basis des historischen Verbrauchs bereinigt um Sondereffekte und, wenn zutreffend, abzgl. der SPK-Mengen und zzgl. der Strommengen zur Herstellung fremdbezogener Sekundärenergieträger und Medien aus Industrieparks.
  1. Entlastungsjahr: Im Entlastungsjahr erfolgt monatlich die Auszahlung auf Basis der mehrjährlichen Durchschnittspreise für den Baseload-Future des Entlastungsjahres und der jeweiligen Monatsverbräuche gemäß den Vorgaben des CISAFs. Dabei werden im jeweiligen Folgemonat die tatsächlichen Monatsverbräuche an die zuständige Stelle gemeldet, um Abrechnungsspitzen zu vermeiden (z.B. Krisen, konjunkturelle Erholung). Aufgrund des Zeitversatzes wird die Entlastung im Januar noch auf Basis der Prognosemengen ausgezahlt.
  1. Folgejahr(e): Im Folgejahr folgt der finale Abgleich und Testierung von Prognose- und Endverbrauch (unter Berücksichtigung von SPK-Verbräuchen und Strommengen im Zusammenhang mit fremdbezogenen Sekundärenergieträgern und Medien). Binnen „48 Monaten nach Gewährung der Beihilfe [muss die Investitionstätigkeit] nach diesem Abschnitt in Betrieb genommen werden, außer wenn (…) aus technischen Gründen eine längere Frist angemessen ist“ (Rz. 122). Hierbei muss klargestellt werden, welcher Zeitpunkt genau gemeint ist (z.B. ab Beihilfebescheid, ab erster oder letzter Auszahlung der Entlastung).

Sollte es zukünftig zu einer Anpassung der entlastungsberechtigten Sektoren des Industriestrompreises oder der SPK kommen, muss zwangsläufig eine Neubeantragung für Industriestrompreismengen erfolgen. Dies sollte im Kontext der angestrebten Erweiterung der SPK mitbedacht werden.


Längerfristige Perspektive des Industriestrompreises notwendig

Aus Sicht des VIK sollte sich die Bundesregierung nach Umsetzung des derzeitigen CISAF-Rahmens kurzfristig für einen auskömmlichen Beihilferahmen einsetzen, der verlässliche Signale für die Transformation und die internationale Wettbewerbsfähigkeit bei den Stromkosten wieder herstellt. Dabei sollten insbesondere folgende Punkte beachtet werden

  1. Langfristige Perspektive nach 2030, um ein verlässliches Signal für die Elektrifizierung industrieller Prozesse zu setzen und ein Förderregime zu etablieren, das mit den typischen Investitionszyklen entsprechender Projekte in der Industrie korrespondiert.
  2. Ausreichende Höhe der Entlastung zur Erreichung internationaler wettbewerbsfähiger Stromkosten.
  3. Umfassende Definition der entlastungsberechtigten Branchen bzw. Stromverbräuche, um den politischen intendierten Entlastungseffekt auch tatsächlich zu erreichen.

In diesem Kontext sollte auch ein mögliches Gegenleistungsspektrum zwischen verschiedenen bestehenden Förderinstrumenten (z. B. SPK, BECV, BesAR) abgestimmt werden, um eine einheitliche und breite Definition für ökologische Gegenleistungen über alle Entlastungsinstrumente hinweg zu schaffen.


[1] Die Erfahrungen mit der Ausgestaltung der Strom- und Gaspreisbremsen in den Jahren 2022 und 2023 haben gezeigt, dass nationale Sonderregelungen in der Praxis oft nicht umsetzbar waren – vor allem aufgrund beihilferechtlicher Restriktionen – und sich somit nur eine geringe Entlastungwirkung bei den Unternehmen entfaltete.

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Bruno Wangemann
Ansprechpartner

Bruno Wangemann

Referent für Energie- und Stromwirtschaft