31.01.2025
Stellungnahme

VIK-Stellungnahme zur BMWK-Konsultation zur Systementwicklungsstrategie

1. Fragen zur SES und zum SES-Prozess

1.1 Wie bewerten Sie die SES insgesamt? Welche relevanten Themen fehlen?

• Netzentgelte: Die im Hintergrund immer weiter steigenden Systemkosten werden kaum berücksichtigt. Diese werden dann über die Netzentgelte an die Verbraucher weitergegeben, ohne auf international Wettbewerbsfähigkeit zu achten.

• Fehlende Integration von CO₂- und Wasserstoffinfrastrukturen: CO₂-Infrastrukturen sollten nicht isoliert betrachtet werden, sondern eng mit der Planung der Wasserstoffinfrastruktur verknüpft werden. Insbesondere für die energieintensive Industrie ist dies entscheidend, da CCU/S-Technologien (Carbon Capture, Utilization, and Storage) einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten können.

• Energieintensive Prozesse frühzeitig einbeziehen: CO₂-Abscheidung und -Transport sind energieintensive Prozesse, die erhebliche Auswirkungen auf die Netzbelastung haben können. Eine frühzeitige Berücksichtigung in der Netzplanung würde helfen, spätere Anpassungskosten und Verzögerungen zu vermeiden.

• Speicherausbau: Es fehlt weiterhin eine umfassende Speicherstrategie, welche sowohl Batterietechnologie als auch PtX-Möglichkeiten berücksichtigt und diese bereits jetzt zur Unterstützung der Systementwicklung mitdenkt. Außerdem sollten die Batteriespeicher eher auf Seiten der Erzeuger oder an strategischen Netzknoten installiert werden, um das Netz zu stabilisieren – nicht beim Verbraucher.

• Internationaler Blickwinkel: Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist EU-weit mit einer erheblich volatileren Stromversorgung zu rechnen, sodass die dauerhafte Verfügbarkeit von Backup-Kapazitäten im Ausland nicht als selbstverständlich angesehen werden kann. Der Status-Quo des stets verfügbaren EU-Strommarktes wird auch in den Nachbarländern zunehmend unsicher.

• Finanzierungsinstrumente: Für die im internationalen Wettbewerb stehende energieintensive Industrie sind wettbewerbsfähige Energiepreise überlebenswichtig. CO2-freie Energieträger wie bspw. Wasserstoff werden jedoch auf absehbare Zeit nicht wettbewerbsfähig sein. Bis dies der Fall sein wird, braucht es geeignete Finanzierungsinstrumente um den Übergang zu ermöglichen.

• Fehlende Berücksichtigung von Grubengas und Grubenwasser: Bereits seit vielen Jahren wird Grubengas abgesaugt und zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. In rund 100 Anlagen werden jährlich etwa 500 Millionen kWh Strom und zusätzlich 250 Millionen kWh Wärme auf der Basis von Grubengas erzeugt, und jedes Jahr ein Treibhauseffekt, der der Emission von rund 2,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten entspricht, vermieden. Die EU-Methanverordnung erlaubt die Nutzung von Grubengas zur Energieerzeugung, damit Methanemissionen verringert werden. Europäisches Regelwerk ist in nationaler SES mitzudenken.

1.2 Wie die SES als gemeinsame Grundlage für die Szenariorahmen der Netzentwicklungsplanung? Welche Weiterentwicklungsbedarfe sehen Sie?

Neben dem bereits genannten lassen sich insbesondere zu Wasserstoff noch ein paar Punkte ergänzen:

• Die SES bietet eine solide Grundlage für die Szenariorahmen der Netzentwicklungsplanung. Im Bereich Wasserstoff sehen wir jedoch deutlichen Weiterentwicklungsbedarf. Insbesondere die großen Unterschiede in den Einschätzungen zur einheimischen Wasserstoffproduktion (30–50 % Variabilität) sind aufgrund veralteter Datengrundlagen nicht mehr zeitgemäß.

• Seit der Erstellung früherer Studien sind relevante Faktoren wie Kapazitäten des Wasserstoff-Kernnetzes, erste Produktionsanlagen und konkrete Preisentwicklungen bekannt. Diese Daten ermöglichen eine präzisere Einschätzung und sollten in die Szenariorahmen einfließen.

• Wir empfehlen, die Einschätzungen zur Wasserstoffproduktion stärker zu präzisieren und aktuelle Marktdaten sowie den Stand der Infrastrukturentwicklung als Grundlage heranzuziehen. Dies würde die Qualität und Praxisnähe der Szenarien deutlich verbessern.

1.3 Wie bewerten Sie die Beteiligungsmöglichkeiten im Prozess der SES? Haben Sie Verbesserungsvorschläge?

Wir hatten bislang keine Möglichkeit uns an dem Prozess zu beteiligen.

2. Fragen zu den Inhalten der SES

2.1 Strategischer Rahmen

2.1.1 Welche allgemeinen Anmerkungen habe Sie zur Beschreibung der Ausgangslage, Funktion und Ziele der SES?

Wir möchten hinterfragen, ob die Annahme, dass die Industrie durch Elektrifizierungsprozesse und Kohlenstoffentnahmetechnologien denselben Endenergieverbrauch wie heute aufweisen wird, realistisch ist (vgl. Abbildung 4). Elektrifizierungsprozesse und Technologien zur Kohlenstoffentnahme sind häufig energieintensiv, was potenziell zu einem höheren Endenergieverbrauch führen könnte. Es wäre wichtig, diese Annahme genauer zu prüfen und durch Szenarien zu ergänzen, die unterschiedliche Entwicklungen des Energieverbrauchs im Kontext der Dekarbonisierung berücksichtigen.

Darüber hinaus erscheinen die Annahmen über die künftigen Mengen an billigen Energien fragwürdig. Hier sind die Annahmen zum Teil auch gegenläufig, da beispielsweise Energieeffizienz oft mit höheren Gesamtkosten einhergehen, was die Ersparnis über die reinen Energiekosten zunichtemacht – oder andersrum eine Annahme über Flexibilisierung, was wiederum die Energieeffizienz konterkariert. Grundsätzlich ist von steigenden Kosten auszugehen, was sich in der SES dringend widerspiegeln sollte, damit frühzeitig gesamtstrategisch geplant werden kann, an welchen Stellen CO2 am sinnvollsten eingespart werden kann.

2.2 Energienachfrage in unterschiedlichen Sektoren

2.2.1 Teilen Sie grundsätzlich die Beschreibung des Zielbilds und der Transformationspfade für die Industrie? Welche abweichenden Entwicklungen sehen Sie? [max. 3000 Zeichen]

Ja, grundsätzlich teilen wir die Beschreibung des Zielbilds und der Transformationspfade für die Industrie, mit folgenden Ausnahmen:

• Wasserstoffeinsatz im Gebäudesektor nach 2030: Dies ist aus technischer und wirtschaftlicher Sicht nicht realistisch und sollte nicht weiterverfolgt werden.

• Einheimische Wasserstoffproduktion: Die Annahme, dass 30-50 % des Wasserstoffs in Deutschland produziert werden, erscheint viel zu hoch angesetzt. Der Fokus sollte stärker auf die Wasserstoffproduktion in Nicht-EU-Staaten gelegt werden, insbesondere aufgrund der bereits bekannten, deutlich niedrigeren Produktionskosten in diesen Regionen.

• Wettbewerbsfähigkeit der Industrie: Die Transformation der Industrie erfordert eine stärkere Berücksichtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Kosten- und Regulierungsfragen müssen parallel zu technologischen Entwicklungen adressiert werden, um Standortnachteile zu vermeiden.

• Energieeffizienz: Wie bereits beschrieben, kann die Umstellung im Industriesektor oft nur durch Maßnahmen erreicht werden, die einen erhöhten Stromverbrauch zur Folge haben (z.B. CCS). Energieeffizienzmaßnahmen leisten einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der Energiewende, absolute Einsparziele sind jedoch kontraproduktiv, und das Erreichen zusätzlicher Effizienzsteigerungen ist mit erheblichen Investitionskosten verbunden. Zudem gibt es in Teilen einen Zielkonflikt mit der politisch angestrebten Flexibilisierung industrieller Prozesse, da diese die Effizienz der Anlagen verringert. Anreize für mehr Flexibilisierung durch Marktsignale, wie im vom BMWK veröffentlichten „Strommarkt der Zukunft“ beschrieben, sollten weiterhin verfolgt werden.

2.2.2 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie? Fehlen zentrale Themen, die für die Transformation der Industrie von Bedeutung sind?

Ein zentraler Untersuchungsbedarf ist die Integration von Carbon Capture-Technologien. Diese sind für die Transformation der Industrie essenziell, da sie eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung von Prozessen mit unvermeidbaren Emissionen spielen. Die frühzeitige Berücksichtigung von CO₂-Abscheidung und -Infrastruktur, insbesondere in Verbindung mit der Wasserstoffinfrastruktur, ist entscheidend, um Synergien zu nutzen und den Energiebedarf dieser Prozesse effektiv in der Netzplanung zu berücksichtigen.

2.2.3 Teilen Sie grundsätzlich die Beschreibung des Zielbilds und der Transformationspfade für den Gebäudesektor? Welche abweichenden Entwicklungen sehen Sie?

Wir sehen es als unrealistisch an, dass der Gebäudesektor nach 2030 mit Wasserstoff beheizt wird. Gründe dafür sind:

• Nutzungskonkurrenz mit der energieintensiven Industrie: Der Wasserstoffbedarf in der Industrie hat klare Priorität und lässt kaum Spielraum für den Gebäudesektor.

• Fehlende Infrastruktur: Bis mindestens in die 2050er-Jahre wird keine ausreichende Wasserstoffinfrastruktur für den Gebäudebereich vorhanden sein.

• Steigende Kosten: Netzentgelte für den Aufbau einer neuen Infrastruktur würden die ohnehin hohen Wasserstoffpreise weiter erhöhen.

Eine mögliche Nutzung von Wasserstoff im Gebäudesektor könnte – wenn überhaupt – erst in der zweiten Hälfte der 2040er-Jahre in Betracht gezogen werden. Dies setzt jedoch ausreichende Produktionskapazitäten und stark gesunkene Wasserstoffpreise voraus.

2.2.4 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie? Fehlen zentrale Themen, die für die Transformation des Gebäudesektors von Bedeutung sind?

Keine Antwort

2.2.5 Teilen Sie grundsätzlich die Beschreibung des Zielbilds und der Transformationspfade für den Verkehrssektor? Welche abweichenden Entwicklungen sehen Sie?

Keine Antwort

2.2.6 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie? Fehlen zentrale Themen, die für die Transformation des Verkehrssektors von Bedeutung sind?

Keine Antwort

2.3 Energieangebot

2.3.1 Teilen Sie die Beschreibung des Zielbilds und der Transformationspfade für die Stromerzeugung?

Im Rahmen der industriellen Transformation zur Klimaneutralität stellt die Versorgungssicherheit neben der Bezahlbarkeit ein wesentliches Standortkriterium für industrielles Wirtschaften in Deutschland dar. Dies gilt insbesondere auch für die anstehenden Investitionsentscheidungen in z.B. die Elektrifizierung von industriellen Prozessen. Die Industrie ist auf eine konstante und unterbrechungsfreie Stromversorgung zu international wettbewerbsfähigen Preisen angewiesen.

Im Bereich der Strompreise und des aktuellen Strommarktdesigns ist der deutliche Anstieg der CO2-Preise (EUA-Preise im EU ETS) ein wesentlicher Energiepreistreiber. Die Strompreise sind sowohl für Industrie- als auch für Privatkunden zu hoch. Es ist mit einem weiteren Anstieg der CO2-Preise des ETS zu rechnen. Die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie ist daher aufgrund der hier im globalen Vergleich hohen Strompreise weiterhin gefährdet bzw. bereits heute vielfach nicht mehr gegeben.

Die Loss of Load Expectation (LOLE) in Stunden pro Jahr (h/a) dient als Maßstab für den Versorgungssicherheitsstandard. In Deutschland sollte dieser Wert maximal 2,77 h/a betragen. Alle Szenarien ab dem Jahr 2028 überschreiten diesen Wert. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass in Deutschland mit Blackouts zu rechnen ist, sondern dass es regionalspezifisch bei Eintritt bestimmter Fälle Zeiten geben kann, in denen das Stromangebot die Nachfrage nicht mehr vollständig decken kann und daher große Lasten, wie z. B. Industrieanlagen, abgeworfen werden müssten („Brown-Out“). Es wird vermutet, dass auch Nachbarländer das deutsche Stromnetz nicht ausgleichen können, da sie ebenfalls zunehmende Zeiten mit hoher LOLE erleben, die synchron zu Deutschland ansteigen. Der VIK spricht sich daher dafür aus, dass in Deutschland zügig neue gesicherte Erzeugungsleistung mit einer Kapazität von ca. 20 GW erbaut wird. Gleichzeitig sollten alle Maßnahmen, die die gesicherte Erzeugungsleistung in Deutschland weiter reduzieren, erst dann erfolgen, wenn adäquater Ersatz für die vom Netz genommene gesicherte Leistung verfügbar ist. Konkret bedeutet dies, dass keine weitere endgültige Stilllegung von gesicherter Leistung erfolgen darf, bevor entsprechende Maßnahmen zur Kompensation abgeschlossen worden sind sowie der entsprechende Netzausbau ebenfalls die notwendigen Fortschritte erzielt hat.

Bezüglich eines grenzübergreifenden Stromhandels und Strombinnenmarktes fordern wir die Verstärkung des gemeinsamen Engagements zum Abbau von Hemmnissen bei der Integration des europäischen Strommarkts. Auch bedarf es der Etablierung einer Institution, der die Verantwortung für die Sicherstellung der Versorgungssicherheit zugeordnet ist.

Letztlich sollte der Ausbau der Kuppelkapazitäten gemäß den technischen und zeitlichen europäischen Vorgaben sowohl in DE als auch in Nachbarstaaten stattfinden.

2.3.2 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie in Bezug auf die Stromerzeugung?

Der VIK sieht gezielte Anreize für den Ausbau von Erzeugung in Engpassregionen als unverzichtbar an. Das Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG) sowie eine Anpassung des Kraft-Wärme-Kopplung Gesetz (KWKG) könnten diese Anreize jeweils adressieren. Für neue EE-Anlagen könnte bei netzbedingter Abregelung ein (temporärer) Verzicht auf eine Vergütung geprüft werden, ebenso wie die Setzung von Anreizen für die Verschiebung des EE-Zubaus von EE-Überschuss- in EE-Engpassregionen. Langfristig ist die Beschleunigung des Netzausbaus voranzutreiben, um die Engpassmanagementkosten deutlich zu verringern. Der Netzausbau hinkt hier derzeit dem Ausbau der EE-Erzeugung deutlich hinterher.

• Bereitstellung von industrieller Flexibilität: Mit Blick auf industrielle Flexibilitätspotenziale ist es wichtig zu betonen, dass diese nur auf freiwilliger, anreizbasierter und vergüteter Basis gehoben werden sollten. Erzwungene und möglicherweise sogar durch externe Eingriffe erfolgende Hebung des industriellen Flexibilitätspotenzials sollte ausgeschlossen bleiben, um Störungen in den zugrundeliegenden Produktionsprozessen zu vermeiden. Für die Vergütungshöhe sind dabei grundsätzlich dieselben Maßstäbe anzulegen, wie für nur kurzzeitig betriebene Kraftwerkskapazitäten. Bestehende marktliche Instrumente sind entsprechend weiterzuentwickeln und zu verlängern bzw. zu reaktivieren. Die Zugangsmöglichkeiten (Präqualifikationsbedingungen) sollten deutlich vereinfacht werden. Die Forderungen nach einer zunehmenden Bereitstellung von Flexibilität seitens der Industrie stehen zudem häufig im Widerspruch mit schärferen Anforderungen bei der Energieeffizienz der Industrie. Industrielle Anlagen werden nur dann effizient betrieben, wenn sie kontinuierlich am optimalen Betriebspunkt gefahren werden.

• Herauslösung transformationsbedingter Kostenelemente aus den Netzentgelten: Es sollte geprüft werden, ob nicht ein Teil der Netzentgeltkosten durch den Staatshaushalt finanziert werden. Es sollten mindestens alle transformationsbedingten Bestandteile der Netzentgelte (Engpassmanagementkosten, Kosten für Redispatchmaßnahmen sowie Reservekraftwerke) durch den Staatshaushalt finanziert werden.

2.3.3 Teilen Sie die Beschreibung des Zielbilds und der Transformationspfade für die Wärmeerzeugung in Wärmenetzen?

• Ja, wir teilen das Zielbild für die Wärmeerzeugung überwiegend. Der Fokus auf Großwärmepumpen und die damit einhergehenden Potentiale ganze Quartiere klimaneutral mit Wärme über Wärmenetze zu versorgen ist ein wichtiger Ansatz.

• Auch die individuelle Erschließung von Potentialen auf lokaler Ebene begrüßen wir. Die Vorgaben für die kommunale Wärmeplanung sollten auf ein Minimum begrenzt werden, sodass Kommunen gemeinsam mit der dortigen Industrie eigene, maßgeschneiderte Lösungen für die ideale Nutzung von z.B. industrieller Abwärme finden können. Diese sollte durch verbesserte Anrechnung im ETS und funktionsfähige Märkte für grüne Herkunftsnachweise weiter gefördert werden. Vor einer Überregulierung durch zu viele kleinteilige Vorgaben ist an diesem Punkt zu warnen.

• KWK-Anlagen können wie erwähnt einen großen Beitrag zur Energieversorgung (elektrisch und thermisch) leisten und sind bislang eine bewährte Technologie zur effizienten Bereitstellung von Energie. Ob die Zeitfenster, in denen ein zusätzlicher Bedarf an elektrischer und thermischer Energie besteht, durch den wachsenden Anteil erneuerbarer Energien wirklich sinkt und damit auch die Notwendigkeit von KWK-Anlagen, ist jedoch fraglich. Im Falle einer Umwidmung von KWK-Anlagen weg von Grundlast und hin zu Spitzen-/Residuallast kann nur funktionieren, wenn das Förderregime dahingehend angepasst wird. In Zukunft sollten daher Förderungen für Investitionskosten (CAPEX) in Betracht gezogen werden, um die Errichtung/Modernisierung von (H2-fähigen) KWK-Anlagen zu unterstützen.

2.3.4 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie in Bezug auf die Wärmeerzeugung in Wärmenetzen?

• Generell ist zu prüfen, welche Rollen KWK-Anlagen in Zukunft einnehmen sollen. Alleine im industriellen Umfeld stellen KWK-Anlagen heute circa 10GWe gesicherte Erzeugungsleistung bereit. Durch die fortschreitende Elektrifizierung der Industrie wird der Bedarf an elektrischer Energie in der Industrie auch in Zukunft durch Effizienzmaßnahmen summenmäßig steigen und nicht fallen. Hier bieten KWK-Anlagen, welche auch auf Wasserstoff umgerüstet werden können, eine sichere Reserve zur Deckung des industriellen Strombedarfs bei gleichzeitiger Erzeugung von Wärme. Falls KWK-Anlagen nicht mehr zur Grundlast beitragen sollen, müssen neue Fördermöglichkeiten eingeräumt werden um industrieller KWK eine perspektive zu bieten.

2.3.5 Teilen Sie die Beschreibung des Zielbilds und der Transformationspfade für das Angebot von Wasserstoff und Wasserstoffderivaten?

• Der Fokus auf Szenarien und die notwendige Infrastruktur allein reicht nicht aus, um die zentralen Herausforderungen zu lösen. Die notwendigen Investitionen und die höhere Kostenbasis werden dabei nicht ausreichend adressiert. Zudem fehlen klare Angaben zum Kapitalbedarf und zur Finanzierung beziehungsweise Finanzierbarkeit der Projekte. Hierzu bedarf es einer stärkeren Einbindung von privaten Investoren und einer gezielten Ausgestaltung von Förderprogrammen. Der alleinige Verweis auf H2-IPCEI-Förderprogramme greift in diesem Zusammenhang zu kurz.

• Einheimische Wasserstoffproduktion: Der angenommene Anteil von 30–50 % einheimischer Produktion ist unrealistisch hoch. Aufgrund hoher Energiepreise und begrenzter Flächen ist Deutschland als Produktionsstandort im internationalen Vergleich weniger wettbewerbsfähig. Der Fokus sollte auf kostengünstigere Wasserstoffimporte aus Nicht-EU-Staaten gelegt werden, um den Bedarf wirtschaftlich zu decken.

• Abkehr von der H2-Farbenlehre: Die Differenzierung nach Farben (grün, blau, türkis) sollte zugunsten einer klaren Definition von CO₂-armen Wasserstoff aufgegeben werden. Entscheidend ist der CO₂-Fußabdruck des Wasserstoffs, nicht die Produktionsmethode. Dies schafft Klarheit und fördert Investitionen. Kurzfristig ist es jedoch für einen zügigen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft entscheidend, substanzielle Wasserstoffmengen bereitzustellen. Mit ausschließlich erneuerbarem Wasserstoff (gemäß EU-Definition) ist dies zunächst nicht zu bewerkstelligen. Deshalb sollte klimafreundlich erzeugter Wasserstoff stärker in den Fokus rücken und klarer als integraler Bestandteil der Transformation benannt werden. Dies steht nicht im Widerspruch zum langfristigen Ziel, erneuerbaren Wasserstoff als Hauptquelle zu etablieren.

• Flexible Übergangsfristen: Ein fixes Datum für den vollständigen Übergang zu ausschließlich CO₂-neutralem Wasserstoff könnte Investoren abschrecken. Stattdessen sollten flexible Fristen eingeführt werden, um den Markthochlauf zu unterstützen und Planungssicherheit zu gewährleisten.

• Zeitplan und Infrastrukturaufbau: Die beschriebenen Transformationspfade unterschätzen die zeitlichen und logistischen Herausforderungen beim Aufbau einer internationalen Wasserstoffinfrastruktur. Verzögerungen in den Lieferketten und bei der Entwicklung von Transportlösungen könnten den Hochlauf erheblich beeinträchtigen.

• Regionale Unterschiede: In den südlichen Regionen Deutschlands, insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg, wird das Kernnetz erst ab etwa 2032 verfügbar sein. Bis dahin sind alternative Transport- und Produktionslösungen erforderlich.

• Elektrolysebetrieb: Für einen wirtschaftlichen Betrieb müssen kontinuierlichere Fahrweisen berücksichtigt werden, da diese auch zur Systemstabilität beitragen.

• Strom- und Wasserstoffinfrastruktur: In einigen Regionen wird die Nutzung von Wasserstoff geplant, obwohl die Stromanschlüsse für die benötigten Elektrolysekapazitäten erst in 12–14 Jahren verfügbar sein werden.

2.3.6 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie in Bezug auf Wasserstoff und Wasserstoffderivate?

• Abkehr von der Farbenlehre: Eine einheitliche Definition von CO₂-armen Wasserstoff ist notwendig, um Klarheit und Investitionsanreize zu schaffen. Ein fixes Datum für den Übergang zu ausschließlich CO₂-neutralem Wasserstoff sollte vermieden werden, um die Marktakteure nicht zu verunsichern.

• H2-Produktion in südlichen Regionen: In Regionen wie Baden-Württemberg und Bayern, die erst ab etwa 2032 an das Wasserstoff-Kernnetz angeschlossen werden, müssen alternative Produktions- und Transportlösungen für Wasserstoff entwickelt werden, um den Bedarf bis 2030 zu decken.

• Elektrolysebetrieb und Spitzlasten: Elektrolyseure wirtschaftlich nur für die Verarbeitung von Spitzlasten zu betreiben, ist ineffizient und nicht realistisch. Es müssen Fahrweisen unterstützt werden, die sowohl ökonomisch tragfähig als auch systemdienlich sind. Zwar können Elektrolyseure Volatilitäten abfedern, jedoch sollte ihr Betrieb keinesfalls ausschließlich auf Stromspitzen beschränkt werden. Eine geringe Auslastung wäre unökonomisch und ineffizient, was die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende gefährden könnte.

• Eine zu starke Konzentration auf Lastspitzen birgt zudem Unsicherheiten bezüglich der Zeitpunkte und -dauern sowie der sich einstellenden Preise. Dies führt zu Investitionsunsicherheiten, die ohne ein Fördersystem, das diese Faktoren ausreichend berücksichtigt, Marktversagen und Hemmnisse bei Final Investment Decisions (FIDs) verursachen können. Technische Herausforderungen verstärken die Problematik. Nicht alle Technologien ermöglichen ein beliebig volatiles Fahrverhalten, und eine solche Betriebsweise kann die Lebensdauer der Elektrolyseure durch Degradation erheblich verkürzen. Stromnetzdienliches Verhalten sollte daher durch gezielte Anreize gefördert werden, statt durch regulatorische Vorgaben erzwungen zu werden. Besonders problematisch sind strikte Netzanschlussvorgaben, die bei Netzfehlern oft technisch unrealistische Fahrweisen verlangen.

• Fehlende Stromanschlüsse: Wasserstoffnutzung sollte nur dort geplant werden, wo die Strominfrastruktur zeitgerecht verfügbar ist. Aktuell gibt es Diskrepanzen in den Planungen, die dringend korrigiert werden müssen.

• H2-Bedarf abhängig von Preis und Verfügbarkeit: Preis- und Mengenverfügbarkeiten müssen stärker in die Szenarien einfließen.

• Marktdynamik von Wasserstoffderivaten: Die Entwicklung der Märkte für Wasserstoffderivate wie Ammoniak oder Methanol muss umfassender untersucht werden.

2.3.7 Teilen Sie die Beschreibung des Zielbild und der Transformationspfade für den Energiehandel?

2.3.8 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie in Bezug auf den Energiehandel?

2.3.9 Teilen Sie die Beschreibung des Zielbilds und der Transformationspfade für Flexibilität und Speicher (Strom-, Wärme- und Wasserstoffspeicher)?

• Der VIK stimmt der grundlegenden Beschreibung der wichtigen Rolle von Speichern im zukünftigen Energiesystem zu. Der Ausbau von Speichern muss beschleunigt werden, um die Steuerbarkeit der EE-Erzeugung zu erleichtern und Volatilität zu reduzieren. Stromspeicher sollten vorzugsweise erzeugungsnah entstehen, um einen unnötigen Netzausbau zu vermeiden, die volatile Stromeinspeisung der Erneuerbaren in das Netz zu verstetigen und so die Netzbelastung zu reduzieren.

2.3.10 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie in Bezug auf Flexibilität und Speicher (Strom-, Wärme-, Wasserstoffspeicher)?

• Es sollte dringend eruiert werden, zu welchem Grad eine Flexibilisierung in den verschiedenen Branchen der Industrie technisch oder wirtschaftlich möglich ist, oder aber schlicht einem Produktionsrückgang entspricht. Letztere Option kann nicht im Interesse der Volkswirtschaft sein.

2.4 Infrastrukturen

2.4.1 Teilen Sie die Beschreibung der Methan- und Wasserstoffnetze?

Teilweise.

2.4.2 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie in Bezug auf die Methan- und Wasserstoffnetze?

• Netzkopplung und Flexibilität: Die Verbindung zwischen Wasserstoff- und Methan-Netzinfrastrukturen ist in der Beschreibung noch nicht ausreichend adressiert. Es fehlen Ansätze, wie die beiden Systeme effizient gekoppelt werden könnten, etwa durch technische Lösungen wie Umwandlungsanlagen (Methanpyrolyse oder Methan-Cracking), die flexiblen Übergang zwischen den Energieträgern ermöglichen.

• Import- und Exportkapazitäten: Wasserstoffimporte werden eine wesentliche Rolle im Energiesystem spielen. Das Zielbild sollte daher explizit die Entwicklung von Importterminals und deren Anbindung an das Kernnetz adressieren. Gleichzeitig sollte der potenzielle Export von Wasserstoff in europäische Nachbarländer betrachtet werden, um eine integrierte europäische Wasserstoffstrategie zu fördern.

• Bedarfsorientierte Planung: Die Szenarien für Methan- und Wasserstoffnetze sollten stärker auf den tatsächlichen Bedarf der Industrie ausgerichtet werden. Dabei müssen Parameter wie Wasserstoffpreise, Verfügbarkeit und technologische Entwicklungen stärker berücksichtigt werden, da sie die Nachfrage und Nutzung der Netze maßgeblich beeinflussen.

2.4.3 Teilen Sie die Beschreibung der Stromnetze?

Teilweise.

2.4.4 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie in Bezug auf die Stromnetze?

• Vorrang von Freileitungen gegenüber Erdverkabelung: Die dadurch zu erzielenden Kostenvorteile sowie einer damit einhergehenden höheren Akzeptanz und einer Beschleunigung des Netzausbaus dürfen nicht außer Acht gelassen werden und werden vom VIK ausdrücklich unterstützt, wenn Initiativen von Stakeholdern den Ausbau sonst über Jahre hinweg verzögern.

• Finanzierung von Netzausbaukosten im Offshore-Bereich über die Offshore-Umlage: Es sollte geprüft werden, inwieweit die Kosten über einen größeren Zeitraum getreckt werden könnten, bspw. über eine Verlängerung der Abschreibungsdauer für Offshore-Anbindungsleistungen von heute 20 Jahren auf 40-50 Jahre in Analogie zu anderen Tiefsee-Infrastrukturen)

• Fokus auf die produzierbaren MWh von Offshore-WEA anstelle der installierten MW: Der Verlust an Volllaststunden durch Abschattungseffekte schädigt die Fähigkeit der Offshore-Windenergie, kostengünstig und kontinuierlich Strom bereitzustellen. Damit einhergehen erhebliche Negativeffekte für alle Stromverbraucher und die Gesellschaft.

2.4.5 Teilen Sie die Beschreibung des CO2-Transportnetzes?

Teilweise.

2.4.6 Welche weiteren Untersuchungsbedarfe sehen Sie in Bezug auf das CO2-Transportnetz?

• Kohlenstoffinfrastruktur: Die Beschreibung der Methan- und Wasserstoffnetze sollte die Entwicklung einer parallelen Kohlenstoffinfrastruktur berücksichtigen. Technologien wie CCU/S (Carbon Capture, Utilization, and Storage) werden essenziell für die industrielle Dekarbonisierung sein, und ihre Integration in das Netzplanungskonzept ist unerlässlich. Dabei sollten Transport und Speicherung von CO₂ von Anfang an in die Netzplanung einbezogen werden.

• Integration von CO₂- und Wasserstoffinfrastruktur: Eine zentrale Untersuchung sollte sich mit der Kopplung von CO₂- und Wasserstoffinfrastruktur befassen. Der Aufbau paralleler Netze birgt erhebliche Synergien, die bislang unzureichend adressiert wurden. Technische, regulatorische und wirtschaftliche Ansätze zur gemeinsamen Planung und Nutzung sollten geprüft werden.

• Grenzüberschreitende Netze und europäische Integration: Da CO₂-Speicherung in Deutschland begrenzt ist, wird ein erheblicher Teil des abgeschiedenen CO₂ in andere Länder exportiert werden müssen. Die Entwicklung grenzüberschreitender CO₂-Netze sowie die Harmonisierung der rechtlichen und technischen Standards mit anderen EU-Staaten ist ein zentraler Untersuchungsbedarf.

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Jonas Heid
Ansprechpartner

Jonas Heid

Fachbereichsleiter Neue Konzepte und Technologien & Koordinator für EU-Energie- und Klimapolitik.