27.08.2024
Stellungnahme

Bewertung des Konzepts der Grüngasquote aus Sicht der Industrie

Position der Verbände VCI, VIK, WV Stahl

Das im August 2023 aus der SPD-Fraktion vorgeschlagene Konzept einer „Grüngasquote“ soll Gaslieferanten zum anteiligen Einsatz erneuerbarer Gase verpflichten. Der so entstehende marktliche Anreiz für Investitionen in erneuerbare Gase soll den Markthochlauf erneuerbarer Gase (z.B. grüner Wasserstoff) beschleunigen.

Übergeordnetes Ziel der Quote ist die Unterstützung der Klimaziele und der industriellen Transformation bei gleichzeitiger Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Befürworter der Quote heben als Vorteile hervor, dass die Maßnahme schnell und einfach umsetzbar sei, den Bundeshaushalt nicht zusätzlich belaste, keine Lock-In-Effekte erzeuge und die Transformation der Gasinfrastruktur und die Entstehung einer neuen industriellen Wertschöpfungskette anreize. Die jährlich steigenden Quotenziele seien dabei massenbilanziell zu erfüllen, sodass eine physische Beimischung grüner oder kohlenstoffarmer Gase in die Netze vermieden wird.

Aus Sicht der Verbände VCI, VIK und WV Stahl werden mögliche Vorteile der Quote dabei einseitig hervorgehoben, während Risiken und unerwünschte Nebeneffekte nicht ausreichend beleuchtet werden.

Ein zentrales Risiko liegt in der weiteren Verknappung des „erneuerbaren Gases“ durch eine zusätzliche regulatorische Nachfrage, über die bestehenden, ambitionierten Quoten der Erneuerbaren Energie im GEG, WPG und bei den RFNBO nach RED III hinaus.

Dies wird einerseits zu einer schlechteren Verfügbarkeit des für die Transformation der Industrie notwendigen grünen Wasserstoffs führen und andererseits über die Knappheit eine massive Verteuerung bewirken. Hinzu kommen zusätzliche Mehrkosten durch Ausgleichszahlungen und Umstellungen.

Für die Industrie bedeutet die Weitergabe (oder Umlage) dieser Mehrkosten auf Endverbraucher, dass insbesondere erdgas- und dampfintensive Prozesse weniger wirtschaftlich werden und die bereits unter immensem Druck stehende Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zusätzlich leidet. Die Einführung einer so ambitionierten Grüngasquote nach diesem vorgestellten Konzept wird daher aufgrund ihrer potenziell wirtschaftsschädigenden Wirkung abgelehnt.

Zentrale Kritikpunkte aus Sicht industrieller Abnehmer werden im Folgenden zusammengefasst:

Mehrkosten für Letztverbraucher und Carbon Leakage

  • Als Vorteil des Konzepts der Grüngasquote wird betont, dass diese bei den Vertrieben und nicht bei Letztverbrauchern ansetzt. Betrachtet man die Kostenseite, ist dies jedoch unerheblich, da Vertriebe die Mehrkosten aus dem Einkauf erneuerbarer und kohlenstoffarmer Gase sowie aus etwaigen Pönalen auf Endkunden umlegen würden. Kostenbelastungen können auf diese Weise von den Letztverbrauchern also nicht ferngehalten werden. Da die Verpflichtung für alle Vertriebe gleichermaßen wirkt, besteht zudem kein starker Anreiz für einzelne Vertriebe, die daraus entstehenden Mehrkosten für Kunden zu minimieren.
  • Gerade die erdgas- und dampfintensive Grundstoffindustrie steht im direkten internationalen Wettbewerb. Die Erdgaskosten der in Deutschland produzierenden Unternehmen sind auch nach dem starken Absinken der Börsenpreise seit 2022 nach wie vor deutlich teurer als beispielsweise in den USA. Selbst im europäischen Vergleich ist die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland aufgrund steigender Gasnebenkosten (v.a. Netzentgelte, Gasspeicherumlage), die es im EU-Ausland nicht oder nicht in der Höhe gibt, schon heute zunehmend nicht mehr gegeben.
  • Würde zusätzlich das Konzept der „Grüngasquote“ eingeführt, würden die Kosten für den Bezug der alternativen gasförmigen Energieträger, Ausgleichszahlungen sowie Umbau- und Investitionskosten als zusätzliche Kostenbestandteile auf den Erdgaspreis umgelegt werden.
  • Vor allem die „Ausgleichszahlung“ ist mit einem Mindestwert von 1.200 EUR/t CO2 um ein Vielfaches höher als der aktuelle EUA-Zertifikatepreis, der im Jahresdurchschnitt 2024 bislang bei ca. 64 EUR/t CO2 liegt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum eine Pönale vorgeschlagen wird, die von aktuellen Zertifikatepreisen dermaßen entkoppelt ist. Zumal das Konzept zugleich angibt, dass die Ausgleichszahlung dem doppelten Preis der EUA-Zertifikate, mindestens jedoch 1.200 EUR entsprechen soll.
  • Besonders in der Frühphase des Wasserstoffhochlaufs ist ein sehr beschränktes Angebot „grüner Gase“ im Markt absehbar. Somit besteht das Risiko, dass die hohe Pönale regelmäßig greift und Erdgaspreise deutlich verteuert. Ein Dekarbonisierungseffekt würde somit nicht durch die Nutzung klimafreundlicher Gase, sondern durch eine wirtschaftliche Überforderung von Letztverbrauchern erreicht. Es muss mindestens sichergestellt werden, dass Strafzahlungen ausschließlich dann in Frage kommen dürfen, wenn die physikalische Produktverfügbarkeit einen Handel und damit die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen auch tatsächlich ermöglicht. Andernfalls würden Vertriebe und indirekt Verbraucher für externe Faktoren bestraft, auf die sie keinen Einfluss haben.
  • Hierdurch wird auch das Argument der Haushaltsneutralität entkräftet, das häufig im Zusammenhang mit der Grüngasquote aufgebracht wird. Denn um die Erdgaspreise bezahlbar zu halten, müsste der Einkauf grüner Gase durch Differenzkontrakte gefördert werden – wodurch auch die Kosten für den Haushalt steigen würden.
  • Im Ergebnis würde die Quote die erdgas- und dampfintensive Industrie, die sich noch immer von den Folgen der Energiekrise erholt, zusätzlich unter Druck setzen. Als Folge drohen somit Produktionsverlagerungen innerhalb der EU oder international mit entsprechenden Carbon Leakage-Risiken.

Überschneidungen und Wechselwirkungen mit anderen Regelungen

  • Es bestehen bereits diverse Regelungen, die sich zum Teil inhaltlich mit den Zielen und Vorgaben der Grüngasquote überlappen und zu kaum abschätzbaren Wechselwirkungen führen können. So sieht das Gebäude Energiegesetz (GEG) etwa eine 65%-Erneuerbarenquote vor, nach dem Wärmeplanungsgesetz (WPG) müssen Wärmenetze bis 2030 zu 30% und 2040 zu 80% mit Wärme aus erneuerbaren Energien gespeist werden.
  • Für die Industrie ist vor allem die RFNBO-Quote nach Art. 22a RED III relevant, die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass bis 2030 insgesamt 42% des in der Industrie verwendeten Wasserstoffs aus RFNBO stammt (Renewable fuels of non-biological origin – d.h. grüner Wasserstoff und Derivate) und bis 2035 sogar 60% erreicht werden. Die RFNBO-Quote ist bereits hochambitioniert und muss entsprechend praxistauglich ausgestaltet werden, um die Industrie nicht zu überfordern.
  • Die parallele Einführung einer allgemeinen „Grüngasquote“, deren Kosten von industriellen Letztverbrauchern mitgetragen werden, führt dabei potenziell zu Doppelbelastungen, inhaltlichen Überschneidungen und weiterer Planungsunsicherheit bei Unternehmen.
  • So ist der strenge massenbilanzielle Ansatz bei der Herstellung von RFNBO nach EU-Vorgaben nicht deckungsgleich mit der offenen Definition von „Grüngasen“ des Quotenkonzepts, sodass der Mehrwert der Grüngasquote für die Erreichung der RFNBO-Ziele für den Industriesektor unklar bleibt.
  • Letztlich wird in diesem Zusammenhang auch das Risiko gesehen, dass eine breite Quotenverpflichtung der Vertriebe dazu führen kann, dass grüne Gase und insbesondere grüner Wasserstoff dort knapp und teurer werden, wo sie im Markthochlauf am dringendsten gebraucht werden und am ehesten zu einer Dekarbonisierung beitragen können.
    • Die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie bekräftigt als Zielbild für 2030: „Der Einsatzbereich von Wasserstoff und seiner Derivate wird bis 2030 nach heutigem Kenntnisstand insbesondere im Industriesektor liegen, z. B. in der Chemie- und Stahlindustrie, sowie im Verkehr zur Nutzung in der Brennstoffzelle oder als erneuerbarer Kraftstoff.
    • So wird die chemische Industrie bis 2045 bislang fossile Prozesse auf elektrifizierte oder wasserstoffbasierte Verfahren umstellen. Der Wasserstoffbedarf der Branche erreicht 2045 148 bis 283 TWh. Auch die Stahlindustrie benötigt für ihre Transformation bereits im Jahr 2030 28 TWh an kohlenstoffarmem Wasserstoff, um die Produktion zu dekarbonisieren. Für eine komplette Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion bereits ab 2040 werden 67-73 TWh benötigt.
    • Mit einer Grüngasquote entsteht allerdings ein Anreiz, dass gerade zum Beginn des Hochlaufs erhebliche Mengen Wasserstoff im Wärmesektor eingesetzt würden. Der Ersatz von Erdgas im Wärmemarkt durch Wasserstoff kann nur sinnvoll sein, wenn grüner Wasserstoff aus Grünstrom-Überschussmengen hergestellt wird anstatt Windräder abzuregeln, da ansonsten der direkte Einsatz von Grünstrom effizienter ist als der Ersatz von Erdgas durch Wasserstoff. Jedoch ließe sich eine Grünstromquote durch Überschussmengen nicht stabil sichern.
    • Es muss in jedem Fall verhindert werden, dass eine Grüngasquote letztlich Knappheiten bei anderen Abnehmern verschärft und die Dekarbonisierung der Industrie hemmt.
  • Grundsätzlich sollte der Schwerpunkt der Regulierung auf die Vereinfachung und nicht auf die Festlegung weiterer zukünftiger Ziele gelegt werden. Neue gesetzliche Zielvorgaben zur Dekarbonisierung ohne einen klaren Regelungsrahmen führen letztlich zur Verunsicherung betroffener Produzenten, Vertrieben und Industrieunternehmen sowie zu steigenden volkswirtschaftlichen Kosten und zusätzlicher Bürokratie. Ohne Planungssicherheit (z.B. bzgl. dem Handel von Zertifikaten für grüne Gase oder Regeln zum Auditing) werden wichtige Investitionen in die Transformation nicht getätigt und es droht letztlich die Abwanderung von Industriezweigen.
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Dipl.-Ing. Andreas Renz
Ansprechpartner

Dipl.-Ing. Andreas Renz

Stv. Fachbereichsleiter Energiewirtschaft und Regulierung / Geschäftsführer Energieberatung GmbH