Kundenanlagen stellen das Rückgrat der dezentralen Energieversorgung in Deutschland dar und sind die bei weitem am häufigsten anzutreffende Energieinfrastruktur. Die Existenz einer Regulierung über Kundenanlagen nach § 3 Nr. 24a EnWG und § 3 Nr. 24b EnWG basiert in Deutschland auf einer jahrelangen, gelebten Praxis dezentraler Versorgungsmodelle, die aufgrund fehlender Wettbewerbsrelevanz oder fast ausschließlicher Nutzung zur betrieblichen Eigenversorgung von der komplexen Netzregulierung ausgenommen werden, was mit finanziellen sowie administrativen bzw. bürokratischen Erleichterungen einhergeht. Die Rechtsfigur der Kundenanlage nimmt demnach eine signifikante Bedeutung für die ökologische und ökonomische Effizienz am Wirtschaftsstandort Deutschland ein.
In vielen Fällen sind Kundenanlagen historisch gewachsen und verbinden verschiedene Unternehmen wie bspw. Tochterfirmen, Dienstleister oder Dritte, die sich aus Veräußerungen von Betriebsteilen ergeben haben oder im Produktionsverbund tätig sind und die am Standort vorhandene Infrastruktur (Wärme-, Dampf, Kälte-, Druckluftversorgung, Werksfeuerwehr, Ärztlicher Dienst, Sozialeinrichtungen etc.) gemeinsam nutzen. Eine solche Standortbewirtschaftung ist sowohl aus volkswirtschaftlicher Sicht als auch unter Effizienzgesichtspunkten sinnvoll. Auch die Energieinfrastrukturen von Krankenhäusern, Flughäfen und Einkaufszentren werden oftmals in Form der Kundenanlage betrieben.
Derartige Konstellationen lassen kein Regulierungserfordernis erkennen, da sie sich in aller Regel durch folgende Merkmale auszeichnen:
Die jüngsten Entscheidungen des EuGH und des BGH über Kundenanlagen nach § 3 Nr. 24a EnWG stellen den bisherigen Status infrage und machen eine grundlegende, umfassende Reform der Materie erforderlich. Betroffene Kundenanlagenbetreiber und angeschlossene Letztverbraucher erwarten zu Recht eine Entlastung von den regulatorischen Vorschriften der Netzregulierung, die in vielen Fällen nicht sachgerechte und unverhältnismäßige bürokratische Zusatzaufgaben verursachen würden. Hinzu kämen nicht kalkulierbare Mehrkosten für physische Umbaumaßnahmen innerhalb der Kundenanlagen, Wirtschaftsprüfer und weiteres Fachpersonal. Aufwand und Nutzen stünden in keinem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Regulierungsziel.
Der VIK setzt sich für eine praxistaugliche und planbare Verankerung einer Regelung für bisherige Kundenanlagen und industrielle Standortversorgungen in den einschlägigen EU-Richtlinien, in der Bundesgesetzgebung sowie von Festlegungen der BNetzA ein. Der Verband mahnt aufgrund des gegebenen Zeitdrucks eine zeitnahe Regelung an, um drohenden Schaden abzuwenden und gewachsene Standortkonzepte zu schützen.
Eine Änderung der europäischen Richtlinien (EU) 2019/944 (Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie) und der (EU) 2024/1788 (Gasbinnenmarktrichtlinie) wäre grundsätzlich wünschenswert und sollte vom nationalen Gesetzgeber verfolgt werden, dürfte aber aufgrund von zeitlicher Realisierbarkeit keine kurzfristige Lösung darstellen.
Der nationale Gesetzgeber verfügt nur über einen geringen Spielraum, um zusätzliche Ausnahmeregelungen europarechtskonform zu schaffen. Eine Überprüfung und ein Abgleich der national festgelegten Regelungen mit den tatsächlich verpflichtenden EU-Vorgaben sollte dennoch vorgenommen und die bestehende Überregulierung auf ein einheitliches EU-level gebracht werden.
Nach Einschätzung des VIK sind im untergesetzlichen Bereich am schnellsten Anpassungen möglich. Die BNetzA könnte im Rahmen ihrer Festlegungskompetenzen Regelungen schaffen, in denen die Betreiber geschlossener Verteilernetze und industrieller Standortversorgungen von Auflagen befreit werden, die außerhalb des Netzbetriebs in der kommunalen Flächenversorgung zu unnötigem bürokratischem Mehraufwand führen.
Mögliche Lösungsansätze:
Der BGH stellt in seiner Entscheidung zur Kundenanlage fest, dass ein (reguliertes) Verteilernetz ein Netz ist, dass der Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung zum Zwecke des Verkaufs dient (BGH, Beschl. v. 13.5.2025 – EnVR 83/20, Rn. 18). Leitungssysteme, die der Weiterleitung von Elektrizität dienen, die nicht zum Verkauf bestimmt ist, können hingegen im Rahmen einer gesetzgeberischen Sachentscheidung von der Regulierung ausgenommen werden (Rn. 29). Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass die Energieinfrastrukturen in vielen der oben geschilderten Konstellationen nicht zum Zweck der Endkundenbelieferung, sondern schlicht zur Standortbewirtschaftung betrieben werden. Darüber hinaus enthält bereits der bestehende Rechtsrahmen Instrumente, vorhandenen Dritten einen europarechtskonformen Marktzugang zu ermöglichen.
Die im Bereich der Kundenanlagen bereits heute etablierte Praxis des § 20 Abs. 1d EnWG sieht für die Möglichkeit des (zwingend zu ermöglichenden) Lieferantenwechsels in der Kundenanlage die Vergabe eines Zählpunkts (sog. Marktlokation) vor. Diese Marktlokation wird dem neu beliefernden Bilanzkreis zugeordnet. Mit diesem Prinzip kann nicht nur die freie Lieferantenwahl der angeschlossenen Letztverbraucher gewährleistet werden. Es ermöglicht auch die Bereinigung der Kundenanlagen um Drittstrommengen.
Der VIK plädiert deshalb dafür, bestehende Regulierungsausnahmen außerhalb der öffentlichen Versorgung weitgehend zu erhalten, indem private Energieinfrastrukturen, die keine Verteilernetze im Sinne der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie sind, weil sie um Drittstrommengen bereinigt werden und somit ausschließlich der Eigenversorgung dienen, nicht der Netzregulierung unterworfen werden (Lösungsansatz 1).
Alternativ könnte im Rahmen eines neuen § 110a EnWG eine Regelung für Besondere Geschlossene Verteilernetze geschaffen werden, in der die regulatorischen Anforderungen auf das europäische Mindestmaß begrenzt werden, indem der bisherige Ansatz, nach dem nur die Pflichten genannt werden, die nicht gelten, umgekehrt wird (Lösungsansatz 2).
Lösungsansatz 1: aktiver Marktzugang von Dritten – Bereinigung der Kundenanlagen von Drittstrommengen
Die gesetzliche Regelung oder regulierungsbehördliche Anerkennung einer Energieanlage für die betriebliche Versorgung, innerhalb derer der Eigenverbrauch des Betreibers mit eigenen (Zweirichtungszählern) zeitgleich abgerechnet wird, könnte nach Maßgabe der folgenden Vorgehensweise europarechtskonform ausgestaltet werden:
Dritte innerhalb der bisherigen Kundenanlage erhalten eine Marktlokations-ID und werden, wie im Fall der kaufmännisch-bilanziellen Durchleitung, so gestellt, als seien sie direkt an das vorgelagerte (öffentliche) Netz der allgemeinen Versorgung angeschlossen. Sie werden mit abrechnungsrelevanten Zählern ausgestattet und mit Netzentgelten in gesetzlicher Höhe und entsprechend der Netzebene abgerechnet, an die die Kundenanlage angeschlossen ist. Die Kundenanlagen würden somit um sämtliche Drittmengen bereinigt und ausschließlich der betrieblichen Eigenversorgung dienen, weshalb eine Netzregulierung vollständig entfallen könnte. Hiermit könnte den Anforderungen eines integrierten, wettbewerbsgeprägten, verbraucherorientierten und transparenten Elektrizitätsmarktes genüge getan werden, ohne administrativen und finanziellen Mehraufwand auszulösen.
Lösungsansatz 2: Entwurf einer möglichen Formulierung eines neuen § 110a EnWG
§ 110a EnWG (NEU) Besondere Geschlossene Verteilernetze (BGVN)
Referentin für Energie- und Stromwirtschaft