31.05.2022
Stellungnahme

Entwurf eines Gesetzes zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage durch Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes und weiterer energiewirtschaftlicher Vorschriften (Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz)

Einleitung:
Der VIK begrüßt die Formulierungshilfe der Bundesregierung für ein „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“, um auf eine mögliche Gasmangellage mit der Inbetriebnahme von Kraftwerkskapazitäten aus der Reserve reagieren zu können um somit den Erdgaseinsatz bei der Stromerzeugung so gering wie möglich zu halten. Dadurch könnten signifikante Mengen Erdgas, die für die Versorgung von Privathaushalten und industrieller und gewerblicher Betriebe sowie für die gekoppelte Erzeugung von Wärme und Strom benötigt werden, eingespart werden. Das Befüllen der deutschen Erdgasspeicher ließe sich mit dieser Maßnahme beschleunigen. Nach Ansicht des VIK greift die Formulierungshilfe jedoch in folgenden Punkten zu kurz.
  • Der VIK sieht es als kritisch an, dass einer offiziellen Feststellung einer Gasmangellage durch das BMWK bedarf. Nach Ansicht des VIK kann bereits heute eine zukünftige Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Gasversorgungssystems nicht ausgeschlossen werden. Alle einer Gasmangellage vorbeugenden Maßnahmen sollten daher so schnell wie möglich getroffen werden.
  • Der VIK lehnt das Streichen der gesetzlichen Grundlage für die Aufhebung der Mindestfaktorregelung für Strom aus KWK-Anlagen
  • Die in § 53e EnWG vorgesehene Verordnungsermächtigung sieht der VIK als äußerst kritisch an, da die dargestellten Regelungsmöglichkeiten von derart wesentlicher Eingriffsintensität sind, dass sie de-facto ordnungsrechtlichen Maßnahmen der Notfallstufe gemäß SoS-Verordnung entsprechen
  • Der VIK spricht sich dafür aus, dass KWK-Anlagen, deren gasbasierte Wärmeerzeugung nicht substituierbar ist, von direkten regulatorischen Eingriffen seitens des BMWK ausgenommen bleiben. Diese Anlagen sollten der Notfallstufe der BNetzA vorbehalten bleiben, die die entsprechenden Eingriffe vornehmen kann. Jeder zusätzliche Eingriff des BMWK käme einer Doppelregulierung gleich.
Allgemeine Anmerkungen:
  • Keine Erwähnung im Gesetzentwurf finden die Anlagen der industriellen Kraftwirtschaft, die erst kürzlich auf Erdgas umgestellt wurden oder sich im Prozess dahin befinden („fuel switch“). Auch sie könnten einen Beitrag leisten, um Erdas einzusparen und gleichzeitig Strom zu erzeugen, bleiben jedoch unberücksichtigt.
  • Kritisch betrachte der VIK, dass der Vollzug des Kohleausstiegsgesetzes (KVBG) trotz der unsicheren Lage unbeirrt fortgesetzt wird. Aktuell endet im August 2022 die Bewerbungsfrist in der sechsten Runde, mit der etwa 700 MW an installierter Leistung dem Markt entnommen werden sollen. Zum Ende des Jahres gehen auch die verbliebenen Kernkraftwerke vom Netz. Diese Kapazitäten würden ebenfalls durch mit Erdgas betriebenen Kraftwerken ersetzt, wenn nicht vorher bereits nicht-erdgasbasierten Kraftwerken die Teilnahme am Markt temporär wieder bzw. länger ermöglicht wird. Ohne sofortige Maßnahmen zur Erdgassubstituierung in der Stromerzeugung würde die Bewältigung einer Gasmangellage erheblich erschwert werden. Dies läuft dem Zweck des umrissenen Gesetzes zuwider.
  • Wesentliche Fragen der praktischen Krisenbewältigung bleiben unbeantwortet, insbesondere für die Kraftwerksbetreiber, deren Anlagen ggf. bei einer Gasmangellage kurzfristig benötigt würden. So gibt es - keine Klarheit, ob, wann und in welchem Umfang ihre Ersatzkapazitäten letztlich ggf. benötigt werden, und - Unklarheit, bei wem der ggf. eintretende finanzielle Mehraufwand für Wartung, technische Ertüchtigung, Personal, etc. verbleibt.
  • Der Betrieb von Kuppelgaskraftwerken muss im Falle von Erdgasbeschränkungen abgesichert werden. Kuppelgaskraftwerke entlasten den Strombezug aus dem Netz der öffentlichen Stromversorgung und sind daher ein wichtiger Eckpfeiler in dieser Versorgungskrisensituation. Zudem besteht die Möglichkeit, freie Kraftwerkskapazitäten temporär durch freiwerdende Kuppelgasmengen oder Erdgas für Redispatch-Maßnahmen ad hoc bereitzustellen. Der Hauptbrennstoff dieser Kraftwerke sind die Prozess- bzw. Kuppelgase, Erdgas wird im Industriekraftwerk lediglich zur Anfahr-, Zünd- und Stützfeuerung genutzt.
  • Der VIK hält es für nötig, in dieses Gesetz auch eine Ausnahme für §19 StromNEV zu den individuellen Netzentgelten aufzunehmen, der im Falle einer Beschränkung der Gasliefermengen für einen Standort die Anforderung der jährlichen Betriebsstunden i.H.v. 7.000 Betriebsstunden aussetzt. Im Falle einer Gasmangellage oder einer Einschränkung des Betriebs von Gaskraftwerken, könnte es zu betrieblichen Produktionseinschränkungen kommen und die Erfüllung der 7.000h-Regelung wäre für betroffene Unternehmen unmöglich.
  • Der VIK schließt sich der Klarstellung an, dass es sich bei dem Gesetz um eine Maßnahme gegen eine vorübergehende Gasmangellage handelt, also um eine Krisenreaktion für einen begrenzten Zeitraum und die klimapolitischen Zielsetzungen somit ihre Gültigkeit behalten.
  Im Folgenden adressieren wir diese und weitere Aspekte im Detail: Art. 1, Nr. 5 (§ 50a EnWG): Maßnahmen zur Ausweitung des Stromerzeugungsangebots, Verordnungsermächtigung für die befristete Teilnahme am Strommarkt von Anlagen aus der Netzreserve Es ist zu begrüßen, dass das BMWK im Falle des Vorliegens einer „Störung oder Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Gasversorgungssystems“ oder des Nicht-Ausschließens einer „zukünftige[n] Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Gasversorgungssystems“ ohne Zustimmung des Bundesrates unverzüglich reagieren kann. Dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch erst einer offiziellen Feststellung einer solchen Lage durch das BMWK bedarf, sieht der VIK kritisch. Auf eine vorbeugende Schonung der Gasreserven zum jetzigen Zeitpunkt, um das Befüllen der deutschen Gasspeicher vor dem nächsten Herbst zusätzlich zu unterstützen, wird demnach verzichtet. Der VIK hält dies mit Blick auf die ungewisse Versorgungs- und Temperaturlage im kommenden Winter für riskant. Art. 1, Nummer 5 (§ 50b EnWG): Maßnahmen zur Ausweitung des Stromerzeugungsangebots, Pflicht zur Betriebsbereitschaft und Kohlebevorratung für die befristete Teilnahme am Strommarkt von Anlagen aus der Netzreserve Bereits heute ist eine zukünftige Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Gasversorgungssystems nicht auszuschließen. Demnach sollten die in § 50b genannten „Maßnahmen zur Ausweitung des Stromerzeugungsangebots, Pflicht zur Betriebsbereitschaft und Kohlebevorratung für die befristete Teilnahme am Strommarkt von Anlagen aus der Netzreserve“ bereits vor dem 1. November in Gang gesetzt werden. Die Zeit der warmen Temperaturen sollten dringlichst dafür genutzt werden, die Erdgasspeicher so rasch es geht, zu befüllen. Art. 1, Nr. 2 (§ 13 Abs. 1b EnWG): Aufhebung der Mindestfaktorregelung für Strom aus KWK-Anlagen Der VIK lehnt das Streichen der gesetzlichen Grundlage für die Aufhebung der Mindestfaktorregelung aus den folgenden Gründen ab:
  • Eine zeitlich unbefristete Aufhebung der Mindestfaktorfestlegung gegen geltendes EU-Recht der Elektrizitätsbinnenmarktverordnung 2019/943 §13, Abs. 6.
  • Es ist darüber hinaus nicht nachvollziehbar, warum der Einspeisevorrang aus hocheffizienten KWK-Anlagen dauerhaft und unabhängig von der energiewirtschaftlichen Gemengelage grundlegend abgeschafft werden soll. Die Gesetzesbegründung kann hierzu leider ebenfalls keine Aufschlüsse geben. Zudem ist die für das Gesetz geplante Befristung nicht für den § 13 Abs. 1b EnWG vorgesehen und führt somit zur Entwertung der KWK, die eigentlich starker Partner der Erneuerbaren sein soll.
  • Der Versuch, in einer Maßnahme für den Notfall, langfristige Anreize zur Flexibilisierung zu setzen ist weder zulässig noch zielführend. Unternehmen müssten in KWK-Anlagen kurzfristig Nachrüstungen wie z.B. den Einbau von Elektro-Kessel vornehmen, die am Markt aber nicht so schnell verfügbar sind. Kurz- und mittelfristig würde diese Maßnahme aufgrund der langen Lieferzeiten und netzseitigen Kapazitätsbeschränkungen keinen reduzierenden Einfluss auf die Gasnachfrage haben.
Artikel 1, Nr. 5 (§ 50e EnWG): Maßnahmen zur Reduzierung der Gasverstromung Die in Ziffer 5 vorgesehene Intention, KWK-Anlagen gesondert zu bewerten, wenn diese Anlagen Wärme erzeugen, die nicht auf andere Weise bereitgestellt werden kann, und bei möglichen Pönalen günstiger zu berücksichtigen, wird zwar grundsätzlich begrüßt. Allerdings sieht der VIK die hier vorgesehene Verordnungsermächtigung äußerst kritisch, da die dargestellten Regelungsmöglichkeiten von derart wesentlicher Eingriffsintensität sind (wie der Gesetzentwurf selbst an mehreren Stellen ausführt), dass sie de-facto ordnungsrechtlichen Maßnahmen der Notfallstufe gemäß SoS-Verordnung entsprechen. Dies würde aber das Ausrufen der Notfallstufe voraussetzen und entsprechende Rechtsfolgen nach sich ziehen, die hier scheinbar umgangen werden sollen. Weder die Befristung der Maßnahmen auf bis zu sechs Monaten noch die in Satz 4 normierte Sicherstellung der Versorgung geschützter Kunden ändert dies. Aufgrund der hohen Bedeutung der Prozessdampfversorgung für die Industrieproduktion und der hohen Komplexität industrieller Prozessdampf- und Stromversorgung, ist die Nachweispflicht für den Sachverhalt „insbesondere, wenn die Anlage Wärme erzeugt, die nicht auf andere Weise bereitgestellt werden kann“ sehr komplex und von vielen Faktoren abhängig, z. B. einer liquiden und sicheren Versorgung mit Ersatzbrennstoffen (z. B. Heizöl), ausreichenden Netzanschlusskapazitäten für Strombezug bei Reduzierung bzw. Abschaltung von KWK-Anlagen, Kompensationsfragen von höheren Strombezugskosten durch Reduzierung der KWK-Stromerzeugung usw. Um hier eine pragmatische bürokratiearme Lösung zu erzielen, plädiert der VIK für eine grundsätzliche Ausnahme für industrielle Gas-KWK-Anlagen. Artikel 2 (§ 35 Abs. 22 und 23 KWKG 2021): Verschiebung der Stilllegung von Anlagen Es wird begrüßt, dass der ursprünglich 12-monatige Zeitraum zur Stilllegung des Bestandskraftwerks bei einem KWK-Ersatzneubau bis März 2024 verlängert werden soll. Die Einschränkung auf § 7c Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. a) KWKG schafft aber eine wohl unbeabsichtigte Lücke: Kohle-KWK, die ebenfalls durch einen KWK-Ersatzneubau ersetzt wurden oder noch ersetzt werden, jedoch im Rahmen des KVBG bezuschusst sind, werden explizit von der Regelung ausgenommen. Auch im Rahmen des neuen § 50a EnWG ist eine Lücke erkennbar, die solche Anlagen leider unberücksichtigt lässt: denn ein Übertragungsnetzbetreiber wird kaum die Systemrelevanz für eine Anlage bescheinigen können, die durch einen Neubau gleicher Leistungsklasse ersetzt wird. Und die Teilnahme an Netzreserve nach NetzResV ist für eine industrielle KWK-Anlage (die durch einen Neubau ersetzt wird) aus wirtschaftlichen und technischen Gründen nicht möglich. Der VIK bittet insofern um die Klarstellung, dass für Kohle-KWK die durch einen KWK-Ersatzneubau ersetzt werden und im Rahmen des KVBG einen Zuschlag erhalten haben, abweichend von § 51 KVBG ein Verbot der Kohleverfeuerung nicht vor dem 30.03.2024 gilt. Bereits stillgelegte und erneuerte KWK-Anlagen - die ohne weitere Probleme reaktiviert sind – sollten die Möglichkeit erhalten, dass sie bis zum 31.12.2024 weiterbetrieben werden können. Denn es wäre nicht vermittelbar, wenn dieses Potenzial zum Erdgaseinsparen ungenützt bliebe. Der VIK regt darüber hinaus an, grundsätzlich Maßnahmen zu erwägen, weitere Auktionen zur Stilllegung von Steinkohlekapazitäten auszusetzen, sowie die Stilllegungstermine nach § 51 KVBG bis frühestens zum 31.03.2024 zu verschieben. Zur Schließung der vorgenannten Lücke schlägt der VIK folgende konkrete Ergänzung des neuen Abs. 22 des § 35 KWKG 2021 vor: „Für KWK-Anlagen nach Satz 1, für die ein Gebot nach § 21 des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes bezuschlagt wurde, gilt Satz 1 mit der Maßgabe entsprechend, dass abweichend von § 51 Absatz 1 Satz 1 des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes bis zum 30. März 2024 Kohle verfeuert werden darf.“ Die Begründung zum § 35 KWKG 2021 Abs. 22 sollte wie folgt ergänzt werden: „Satz 2 regelt die entsprechende Verlängerung auch für Betreiber von KWK-Anlagen, die anstelle der Inanspruchnahme des Kohleersatzbonus nach dem KWKG den Zuschlag aus einer Ausschreibung nach dem KVBG in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist damit ebenso, dass eine bestehende Kohle-KWK-Anlage durch eine Gas-KWK-Anlage ersetzt wird.“
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Marvin Dalheimer
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Marvin Dalheimer

Fachbereichsleiter Energiewirtschaft und Regulierung