Allgemein
Mit dem Entwurf zur Festlegung eines bundeseinheitlichen Hochlaufentgelts in Höhe von 25 €/kWh/h/a verfolgt die Bundesnetzagentur das Ziel, die Nutzung des Wasserstoff-Kernnetzes über die Zeit bis 2055 sowohl wirtschaftlich tragfähig als auch marktgerecht zu gestalten. Der VIK – Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft und der VCI – Verband der Chemischen Industrie begrüßen das Bestreben der Bundesnetzagentur, für den Aufbau und Betrieb der Infrastruktur frühzeitig verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Aus Sicht der industriellen Netznutzer ergeben sich jedoch wesentliche Punkte, die eine vertiefte Bewertung und mögliche Anpassung notwendig machen.
Im Detail
Der VIK und VCI bringen Verständnis dafür auf, dass Wasserstoffinfrastruktur aufgrund der geringeren volumetrischen Energiedichte sowie der notwendigen Neuauslegung höhere Kosten verursacht als konventionelle Erdgasnetze. Dass daraus abgeleitet auch höhere Netzentgelte resultieren, ist grundsätzlich nachvollziehbar.
Nichtsdestotrotz liegt das vorgeschlagene Entgelt von 25 €/kWh/h/a deutlich über dem derzeitigen Niveau der Erdgasfernleitungsnetzentgelte (ca. 6,7 €/kWh/h/a) und auch über dem in früheren Diskussionen antizipierten Korridor von 15 bis 20 €/kWh/h/a. In zurückliegenden Rückmeldungen der Marktteilnehmer im Zuge der Konsultation zur Festlegung für die Finanzierung des Wasserstoff-Kernnetzes (WANDA) wurde bislang ein Netzentgelt in Höhe von maximal dem Dreifachen des Erdgasentgelts als wirtschaftlich tragbar angesehen – das entspricht etwa 18 €/kWh/h/a[1] auf Basis des aktuellen Erdgasnetzentgelts von 6,71 €/kWh/h/a. Diese Orientierung beruhte auf der Erkenntnis, dass eine höhere Belastung andernfalls zu erheblichen Hemmnissen für den Wasserstoffhochlauf führen würde[2]. Der aktuell vorgeschlagene Wert von 25 €/kWh/h/a überschreitet diese Schwelle deutlich. Dadurch besteht ein erhebliches Risiko, dass sich die Anschlussbegehren an das Wasserstoff-Kernnetz drastisch reduzieren, was wiederum den weiteren Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur sowie die Etablierung eines liberalisierten Wasserstoffmarktes deutlich verzögern könnte. Der Erfolg des Hochlaufs hängt somit maßgeblich davon ab, dass die Netzentgelte marktgerecht und investitionsfreundlich ausgestaltet werden. Nicht nachvollziehbar ist zudem die Begründung der Festlegung der Höhe von 25 €/kWh/h/a. Im zugrunde liegenden Gutachten des Fraunhofer IEG und ISI vom 15. März 2025 wird dieser Wert auf 68 Seiten nur einmal genannt: „Das erforderliche Hochlaufentgelt liegt in den Varianten des Bezugsszenarios ohne zusätzlichen Zeitverzug zwischen 20,3 €/kWh/h/a und 25,9 €/kWh/h/a.“ Vor diesem Hintergrund besteht aus Sicht des VIK und des VCI weiterer Klärungsbedarf, weshalb sich die Bundesnetzagentur in ihrem Entwurf für einen Wert am oberen Rand dieser Spanne entschieden hat. Für eine transparente und nachvollziehbare Regulierung wäre es erforderlich, die Entscheidungsgrundlage für die Festlegung in dieser Höhe offen darzulegen, insbesondere die konkreten Kostenwerte für das H2-Netz, welche aus dem aktuellen Gutachten nicht hervorgehen.
Mit dem Entry-Exit-System mit einer Entgeltberechnung an Ein- und Ausspeisepunkten entsteht faktisch eine doppelte Netzentgelthöhe. Hinzu kommen zusätzliche (indirekte) Netz- und Betriebskosten aus der Speichernutzung, die im Wasserstoffsystem deutlich häufiger als im Erdgasbereich erforderlich ist. In der Praxis bedeutet dies eine deutliche Mehrbelastung, insbesondere bei niedrigeren H₂-Preisen oder eingeschränkter Anlagenauslastung.[3]
Die reinen Produktionskosten von grünem Wasserstoff in Europa wurden für 2023 bereits auf 6,6 EUR/kg geschätzt, was fast 200 €/MWh[4] entspricht – und das ohne Berücksichtigung von Importkosten, Energieverlusten und anderen Kostenbestandteilen, sodass die Gesamtkosten deutlich größer sein dürften.[5] Zum Vergleich: Erdgas liegt im Spotmarkt derzeit unter 40 €/MWh; Die Produktionskosten von grauem Wasserstoff liegen aktuell bei ca. 90 EUR/MWh (bzw. 3,1 €/kg).[6]
Dazu kommen die Netzentgelte, die bei 25 €/kWh/h/a je nach Betriebsstunden bei hoher Benutzungsstundenzahl des Anschlussnehmers (z.B. 8.000 Bh) bei ca. 3,125 €/MWh, bei niedriger Auslastung (z.B. 4.000 Bh) jedoch bereits bei 6,25 €/MWh je Entry- oder Exit-Point liegen und somit einen signifikanten Anteil der Gesamtkosten von Wasserstoff ausmachen würden[7]. Rechnet man direkte und indirekte (vorgelagerte) Netzkosten der Industrie zusammen, kommt das dem Hochlaufentgelt zugrundeliegende Gutachten auf spezifische Mehrkosten der Industrie von >20 EUR/MWh[8]:
Diese Werte zeigen deutlich: Selbst ohne Berücksichtigung der Verteilnetze erreichen die Transportkosten schnell signifikante Größenordnungen – und verstärken die wirtschaftliche Belastung einer ohnehin hochpreisigen Commodity wie Wasserstoff zusätzlich. Dies wirkt sich wiederum negativ auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit von wasserstoffintensiven Prozessen aus.
Die vom Gutachten angenommene durchschnittliche Auslastung von etwa 80 % erscheint aufgrund verzögerter First-Mover-Projekte und Unklarheiten bzgl. des Bedarfs von wasserstofffähigen Kraftwerken unrealistisch. Tatsächlich ist im frühen Hochlauf nicht mit einer flächendeckenden Nutzung zu rechnen. Eine Fehlkalkulation an dieser Stelle führt zu einer unangemessen hohen Kostenverlagerung auf die wenigen First-Mover. Diese tragen ohnehin hohe Investitionsrisiken und sind zugleich essenziell für das Zustandekommen des Markthochlaufs.
Ein zu hohes Startentgelt könnte dazu beitragen, dass Projekte entweder weiter deutlich verzögert oder ganz storniert werden – mit negativen Folgen für Infrastrukturbetreiber, industrielle Nachfrage und den Markthochlauf insgesamt. Aufgrund eines zu Beginn des Hochlaufs fehlenden Wasserstoffmarktes, werden erste Lieferverträge langfristig gemäß den Abschreibungszeiträumen der Erzeugungsanlagen zu schließen sein. Eine mögliche Anpassung der Netzentgelte innerhalb dieses Zeitraums führt zu einem unkalkulierbaren Kostenrisiko und stellt somit ein Hemmnis für den Einstieg dar. Deshalb sollten die dann auf einem wettbewerbsfähigen Niveau festgelegten gesicherte Netzentgelten gerade zu Beginn des Wasserstoff-Markthochlaufes möglichst langfristig gesichert sein.
Das Netzentgeltsystem orientiert sich stark an der Logik des Erdgasmarkts: hohe Auslastung, viele Anbieter, viele Abnehmer, standardisierte Transportmodelle. Der Wasserstoffmarkt ist jedoch derzeit weder hinsichtlich Liquidität noch Angebotsvielfalt mit dem heutigen etablierten Erdgasmarkt vergleichbar – eher mit dem Erdgasmarkt im frühen Entstehungszeitraum. Viele Projekte basieren auf langfristigen, bilateralen Verträgen mit geringen Flexibilitätsmargen. Dies sollte bei der Festlegung des initialen Hochlaufentgelts berücksichtigt werden.
Um die Ziele der Bundesnetzagentur – Refinanzierung der Infrastruktur, Netzstabilität und Markthochlauf – in Einklang zu bringen, sollten folgende Aspekte beachtet bzw. angepasst werden:
Eine doppelte Belastung durch Netzentgelte bei der Einspeicherung und Ausspeicherung von Wasserstoff in Speichern sollte vermieden werden. Speicher leisten einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität und Flexibilität und sollten – analog zur Regelung für Stromspeicher gemäß § 118 Abs. 6 EnWG – initial gezielt entlastet werden.
Schlussfolgerungen
VCI und VIK unterstützen das Ziel einer tragfähigen, langfristig refinanzierbaren Entgeltstruktur. Dabei muss jedoch sichergestellt werden, dass industrielle Projekte wirtschaftlich umsetzbar bleiben und das Hochlaufentgelt nicht prohibitiv wirkt – insbesondere in der kritischen Phase des Markthochlaufs.
Die Ausgestaltung der Netzentgelte darf nicht zu einem Investitionshemmnis werden. Vielmehr sollte die Bundesnetzagentur einen praxisnahen, adaptiven und verursachergerechten Regulierungsansatz wählen – mit engem Dialog zwischen Netzbetreibern, Politik und Industrie.
Wir stehen gerne für den weiteren Austausch zur Verfügung.
Referentin für industrielle Transformation