27.09.2024
Stellungnahme

Position von VCI und VIK: Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit deutscher Erdgaskosten

Trotz des seit 2022 deutlich gesunkenen Marktpreises kann im Erdgasbereich hinsichtlich der Gesamtkosten für die Industrie nach wie vor keine Entwarnung ausgesprochen werden.

Gerade Unternehmen der erdgas- und dampfintensiven Grundstoffindustrie stehen im direkten internationalen Wettbewerb. Die Erdgaskosten in Deutschland produzierende r Unternehmen sind nach wie vor deutlich höher als beispielsweise in den USA. Selbst im europäischen Vergleich ist die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland aufgrund steigender Gasnebenkosten (v.a. Netzentgelte, Gasspeicherumlage), die es im EU-Ausland nicht oder nicht in der Höhe gibt, schon heute zunehmend nicht mehr gegeben.

Diese Entwicklung setzt betroffene Unternehmen in einer ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage zusätzlich unter Druck. Neben den bestehenden Kostennachteilen gegenüber internationalen Wettbewerbsregionen führt inzwischen auch der innereuropäische Wettbewerbsnachteil zu Produktionsverlagerungen in das benachbarte europäische Ausland. Bestätigt wird dieser Nachteil, dadurch dass die industrielle Gasnachfrage in den benachbarten europäischen Ländern sich deutlich stärker erholt als in Deutschland. 1 Dies trifft insbesondere Unternehmen der chemisch- pharmazeutischen Industrie, die Erdgas stofflich in ihren Herstellungsprozessen einsetzen.

Gründe für die hohen Erdgaskosten

Internationaler Wettbewerbsnachteil

Einerseits hat sich das Marktpreisniveau aufgrund der Umstellung der Bezugsquellen und der schnell wachsenden Rolle von LNG-Lieferungen in der Erdgasversorgung auf einem deutlich höheren Niveau eingependelt als noch vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Lag der durchschnittliche Jahresfuture-Preis vor 2021 beispielsweise regelmäßig unter 20 EUR/MWh, so liegt der derzeitige Durchschnittspreis für 2025-Jahresfutures bei über 35 EUR/MWh. Dies entspricht mehr als dem fünffachen des derzeitigen Marktpreises in den USA! Bereits 2023 zahlten europäische Industriekunden 345% mehr für Erdgas als US-amerikanische und 50% mehr als chinesische Unternehmen.

Hinzu kommen CO2-Kosten für LNG-Transport und Erdgasanwendungen im Rahmen des EU-ETS sowie national über das BEHG bzw. perspektivisch das ETS II, denen international keine vergleichbaren Bepreisungssysteme gegenüberstehen.3 Mit der Umsetzung der EU Methanverordnung kann zudem potenziell die Bepreisung von Vorkettenemissionen (Scope 3) hinzukommen, die den Abstand zu internationalen Wettbewerbern weiter vergrößern würde.

Innereuropäischer Wettbewerbsnachteil

Doch nicht nur im internationalen, sondern auch im innereuropäischen Wettbewerb besteht kein Level-Playing-Field mehr. Die Wettbewerbsverzerrung hier ergibt sich aus staatlich induzierten Preisbestandteilen und Entgelten, die es im EU-Ausland nicht oder nicht in der Höhe wie in Deutschland gibt und die seit geraumer Zeit wieder deutlich ansteigen. Der Anteil staatlich induzierter Kosten in Deutschland an den ErdgasGesamtkosten für den industriellen Einsatz liegt damit deutlich über dem Anteil in anderen EU-Mitgliedstaaten:

Gasspeicherumlage: Die Gasspeicherumlage ist seit ihrer Einführung zum 1. Oktober 2022 mit einer ursprünglichen Höhe von 0,59 EUR/MWh stetig gestiegen und wurde zum

1. Juli erneut von 1,86 EUR/MWh auf 2,50 EUR/MWh erhöht. Insgesamt hat sich die Umlage seit ihrer Einführung somit trotz bereits erfolgter zeitlicher Streckung bis 2027 mehr als vervierfacht. Mit dem Ende der Umlageerhebung an Grenzübergangspunkten ist ab 2025 mit einem weiteren Anstieg in bisher unbekannter Höhe zu rechnen. Verbraucher in europäischen Nachbarländern, die in einer Gasmangellage maßgeblich von deutschen Gasspeichern profitieren würden, werden damit nicht länger an den Kosten der Speicherbefüllung beteiligt, sodass sich der Kostennachteil nur noch auf heimische Verbraucher auswirkt. Angesichts des weiterhin hohen Fehlbetrags im Umlagekonto von -6,37 Mrd. EUR ist bis zum Auslaufen der Umlage zum 31. März 2027 nicht mit einer Absenkung der Umlage, sondern mit weiteren Steigerungen zu rechnen.

Gasnetzentgelt: Das Gasfernleitungsnetzentgelt steigt ab dem 1. Januar 2025 um mehr als 30% von 5,10 auf 6,71 EUR/(kWh/h)/a, nachdem es 2023 bereits bei 6,03 €/(kWh/h)/a lag. Hinzu kommen für viele industrielle Verbraucher zudem Netzentgelte für die Verteilnetzebene. In der Gesamtbetrachtung entspricht dies zusätzlichen Kosten von etwa 1,3 bis 3 EUR/MWh. Im Vergleich zu europäischen Nachbarländern wie Frankreich, den Niederlanden oder Belgien, sind die deutschen Netzentgelte insbesondere für industrielle Letztverbraucher deutlich höher.4 In Zukunft werden die Netzentgelte voraussichtlich weiter steigen, da durch die mit der Energiewende einhergehende geringere Auslastung der Netze und ihr Rückbau bzw. Umwidmung Kosten zunehmend auf weniger Netznutzer verteilt werden müssen. Die Verkürzung von Abschreibungszeiträumen führt gerade in der Anfangsphase der Gasnetztransformation zu höheren Entgelten.

Energiesteuer: Mit dem ersatzlosen Wegfall des Spitzenausgleichs zum Jahresanfang fallen für den nicht anderweitig entlasteten Anteil des Erdgasverbrauchs höhere Steuern an. Dies hat vor allem bei besonders erdgasintensiven Unternehmen in der Gesamtbetrachtung zu einer steuerlichen Mehrbelastung geführt.

Drohende zukünftige Mehrkosten: Diskutierte Maßnahmen wie das Konzept einer nationalen Grüngasquote 6 können ebenfalls zu deutlichen Mehrkosten für Erdgasverbraucher führen. Grund dafür sind Pönalen sowie Umstellungs- und Beschaffungskosten für grüne Gase, die von Versorgern letztlich auf Endverbraucher umgelegt würden und die aufgrund der zu erwartenden Knappheit grüner Gase tendenziell sehr hoch sein dürften. Die Einführung einer solchen Quote nach dem diskutierten Konzept wird daher abgelehnt.

Entlastungsmaßnahmen

Ausschüttung aus den Konten der Bilanzierungsumlagen: Nachdem die Umlage zuvor bereits auf 0 EUR/MWh gesenkt wurde, wird die nun angekündigte teilweise Ausschüttung aus dem RLM-Umlagekonto (Registrierende Leistungsmessung) durch Trading Hub Europe ausdrücklich begrüßt. In der Gesamtbetrachtung reicht der positive Effekt voraussichtlich jedoch nicht aus, um den Wettbewerbsnachteil auszugleichen. So stehen dem RLM-Umlagekonto mit ca. 2,2 Mrd. EUR (inkl. Liquiditätspuffer) Fehlbeträge von -6,37 Mrd. EUR im Konto der Gasspeicherumlage entgegen. Aus diesem Grund sind darüberhinausgehende Entlastungsmaßnahmen notwendig:

Entlastung der Industrie von der Gasspeicherumlage: Um dazu beizutragen, die Wettbewerbsfähigkeit industrieller Unternehmen wiederher- bzw. sicherzustellen, sollte für industrielle Gasverbraucher ein reduzierter Umlagesatz bei der Gasspeicherumlage eingeführt werden.

Netzumstellung kosteneffizient gestalten: Die Industrie wird voraussichtlich aufgrund der stofflichen Nutzung von Methan und der beschränkten Substituierbarkeit von Erdgas in der Prozessdampfversorgung zu den Nutzern zählen, die die Erdgasinfrastruktur am langfristigsten nutzen. Es muss vermieden werden, dass die Netzkosten zukünftig ein prohibitiv hohes Niveau erreichen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich gefährden. Die Bundesregierung sollte daher mögliche Finanzierungsmodelle prüfen, um einen solchen Anstieg für die wenigen verbleibenden Nutzer zu verhindern. Zudem sollten die Stilllegungskosten so gering wie möglich gehalten werden. Es erscheint vor diesem Hintergrund sinnvoller, vorhandene Leitungs-Infrastruktur nicht aktiv rückzubauen, sondern nach Möglichkeit im Boden zu belassen, stillzulegen und für eine etwaige Weiterverwendung zu erhalten. Betroffene Netznutzer müssen zudem mit ausreichendem zeitlichem Vorlauf in Umstellungs- und Stilllegungspläne eingebunden werden.

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Dipl.-Ing. Andreas Renz
Ansprechpartner

Dipl.-Ing. Andreas Renz

Stv. Fachbereichsleiter Energiewirtschaft und Regulierung / Geschäftsführer Energieberatung GmbH