11.11.2025
Stellungnahme

VIK-Positionspapier zur kurzfristigen Anpassung des EU ETS

Im Rahmen der aktuellen Diskussionen über die Neujustierung der europäischen Klimapolitik und die notwendigen kurzfristigen Maßnahmen zur Anpassung des EU ETS unterstreicht der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK e.V.) in dieser Stellungnahme zentrale Problempunkte, die für die Vereinbarkeit von Klimaschutz und Wettbewerbsstärke der energieintensiven Industrie von Bedeutung sind.

Emissionshandel als zentrales Instrument der Klimaschutzpolitik

Die EU-Kommission plant derzeit eine Reform des EU ETS, um es an die neuen Klimaziele 2040 und die Leitlinien des Clean Industrial Deal anzupassen. Das EU ETS ist ein zentrales marktwirtschaftliches Instrument zur Reduktion von CO₂-Emissionen und leistet einen wichtigen Beitrag zur Industrietransformation. Als energieintensive Industrie erkennen wir die Bedeutung des ETS auf dem Weg zur Erreichung der Klimaneutralitätsziele an, betonen jedoch die Notwendigkeit planungssicherer Rahmenbedingungen und eines fairen Schutzes vor Carbon Leakage, damit Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen und Arbeitsplätze in Europa erhalten bleiben.

Aktuelle Herausforderungen und Anpassungsbedarf der ETS-Regularien

Aufgrund der anhaltenden industriellen Stagnation, der stark erhöhten wirtschafts- und geopolitischen Unsicherheit sowie des unflexiblen Rahmens des Klimaschutzes verstärken sich derzeit die Tendenzen zur Deindustrialisierung in Deutschland. Die fehlende Verfügbarkeit bezahlbarer grüner Energie sowie das Fehlen einer belastbaren Marktbewertung für CO₂-reduzierte Produkte schaffen keine planbare Grundlage für die notwendigen, umfangreichen Investitionen, die zur Erreichung der Klimaneutralitätsziele erforderlich sind. Aktuell stehen die Industrieunternehmen in Europa unter großem Druck, da sie mit einigen der weltweit höchsten Energiekosten konfrontiert sind. Der ETS-Preis treibt unter anderem die Strompreise in Europa in die Höhe, während die meisten Wettbewerber aus Drittländern über kein vergleichbares THG-Minderungssystem verfügen. Daher ist es dringend erforderlich, kurzfristig gegenzusteuern, unter anderem durch gezielte Anpassungen des EU ETS. Dabei sollte die Regulierung so ausgestaltet werden, dass Unternehmen, die bereits heute erhebliche Investitionen in klimaneutrale Anlagen getätigt und damit Vorleistungen erbracht haben, daraus keine Nachteile erleiden. Umso wichtiger ist es, für diese Unternehmen Leitmärkte für klimaneutrale Produkte priorisiert zu etablieren und weiterzuentwickeln, vor allem in den Sektoren Stahl und Zement.

Empfehlungen zur kurzfristigen Anpassung der ETS-Richtlinie

1. Anpassung des Reduktionspfades über 2039 hinaus: Eine Herausforderung, die eine erhebliche finanzielle Belastung für die betroffenen Unternehmen darstellt, ist der derzeitige Reduktionspfad im EU ETS mit dem Ziel der Nullemissionen bis 2039. Dies bedeutet praktisch Klimaneutralität für die ETS-Sektoren bereits im Jahr 2040. Für die europäische Industrie steht dadurch die „License to operate“ auf dem Spiel, was ihre Existenz gefährdet. Grundsätzlich muss der Anstieg der CO₂-Kosten mit dem tatsächlichen Fortschritt der Transformation und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit in Einklang stehen. Als kurzfristige Entlastungsmaßnahme wäre es aus Sicht der VIK-Mitglieder sinnvoll, die Cap-Werte und die Menge der zugeteilten Zertifikate anzupassen. In diesem Sinne wäre eine Anpassung vom sog. Linear Reduction Factor nach 2030 erforderlich.

2. Verlängerung der kostenlosen Zuteilungen: Nach derzeitigem Stand soll die kostenlose Zuteilung schrittweise bis 2034 auslaufen. Um den betroffenen Unternehmen angesichts zunehmender Deindustrialisierungstendenzen ausreichenden Handlungsspielraum zu gewähren und Produktionsverlagerungen zu vermeiden, plädiert der VIK dafür, den Ausstieg aus der kostenlosen Zuteilung bis mindestens 2044 zu verschieben (dies wäre konsistent mit den Verpflichtungen zur Klimaneutralität in Deutschland). Produktionsanlagen innerhalb der EU weisen in der Regel besonders geringe THG-Emissionen auf. Eine Verlagerung der Produktion in ein Drittland oder die Kompensation durch bestehende Drittlandsanlagen führt in den meisten Fällen zu einem Anstieg der THG-Emissionen.

3. Wiedervermarktung der Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve: Die MSR-Zertifikate stehen nach ihrer Stornierung nicht mehr zur Verfügung, was erhebliche Auswirkungen auf den Markt hat. Für den Moment könnte eine schnelle Anpassung der MSR helfen, Schwankungen der Kohlenstoffpreise abzumildern, was wiederum die wirtschaftliche Belastung der Industrie reduzieren würde. Hilfreich wäre, zunächst auf eine weitere Verschärfung der MSR zu verzichten (bzw. den Löschungsmechanismus auszusetzen) und bereits eingezogene Zertifikate in den Markt zurückzugeben. Dies kann vorübergehend Flexibilität schaffen und den Unternehmen die notwendige Zeit geben, sich auf die Veränderungen einzustellen. Langfristig sollte die MSR abgeschafft werden, insbesondere vor dem Hintergrund der erwarteten Anstiege der Preise für EUA-Zertifikate.

Weitere Aspekte

Außer dem ETS sind auch weitere Instrumente zur Erreichung der Klimaneutralität notwendig, darunter gezielte Förderprogramme wie Klimaschutzverträge, die Etablierung grüner Leitmärkte sowie die Anerkennung von CCUS-Technologien. Zudem sollten CBAM-relevante Problempunkte gelöst werden, darunter hohe Bürokratiekosten, unzureichender Schutz nachgelagerter Branchen sowie von EU-Exporten auf Nicht-EU-Märkten und unangemessene Standardwerte. Eine Ausweitung des Geltungsbereichs auf andere Sektoren sollte erst erfolgen, wenn sich der CBAM als wirksam erwiesen hat und ein sektorenspezifisches Schutzniveau wie die kostenlose Zuteilung und die SPK bieten kann.

Für eine erfolgreiche Transformation sind gezielte Maßnahmen zur kurzfristigen Anpassung des EU ETS entscheidend, angefangen bei der Möglichkeit, entwertete Zertifikate aus der MSR wieder zu vermarkten, über die Anpassung des Reduktionspfads und die Verlängerung der kostenlosen Zuteilungen bis 2044, bis hin zu bezahlbaren Energiepreisen und dem Ausbau der notwendigen Infrastruktur. Eine flexible Gestaltung des EU ETS würde somit zur Entlastung der Unternehmen vor dem Hintergrund rückläufiger Produktionszahlen und Standortschließungen in Europa beitragen.

Downloaden
Dipl.-Pol. Adelia Rathmann, MA
Ansprechpartner

Dipl.-Pol. Adelia Rathmann, MA

Seniorreferentin für Klimapolitik & Koordinatorin für EU-Energie- und Klimapolitik.